MARIAINSEL

Ein Projekt von Alfredo Barsuglia für die 6. Wasser Biennale Yahoos-Garden in Fürstenfeld 2018 in Kooperation mit dem Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark.

Auf Einladung von Günther Pedrotti, dem Initiator der 6. Wasser Biennale in Fürstenfeld, errichtet der Künstler Alfredo Barsuglia eine Insel auf der Feistritz, die er nach dem häufigsten Vornamen der Region benennt, nämlich Mariainsel. Barsuglia bestellt, gleichsam einem Intendanten eines Kunst- und Kultur-Festivals, sechs Kurator/innen, die die Insel während der Sommermonate 2018 mit Kunst, Performance und Musik bespielen werden.

Die Eröffnungen der Festivalprojekte finden ab 8. Juni jeden zweiten Freitag um 19 Uhr statt.

Facebook Mariainsel - Wasser Biennale Fürstenfeld 2018
Mariainsel, 8280 Fürstenfeld
8. Juni — 26. August 2018, täglich 0—24 Uhr
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Die ca. 25m² große Insel wurde nicht einfach in der Feistritz aufgeschüttet, die Landgewinnung erfolgte durch die Abtrennung einer Landzunge durch einen etwa zwei Meter breiten Verbindungskanal zwischen Feistritz und Hühnerbach.

So wie Straßen oder Plätze oft nach bedeutenden Persönlichkeiten benannt werden, trägt auch die Insel einen für die Region aktuell bedeutenden Name, nämlich den häufigsten Vornamen der Gemeinde Fürstenfeld: Mariainsel. Der Name der Insel ist gleichsam ein Zeitdokument für den häufigsten Namen zu Beginn des 21. Jahrhunderts in dieser Gegend. Der Kanal ist nach dem zweithäufigsten Vornamen benannt, nämlich Franzkanal.

Die Insel wird wie eine neue Adresse der Stadt hinzugefügt und soll als öffentlicher Ort auch solcher von Bewohner/innen verstanden werden. Bestenfalls wird sich die Insel sogar zu einem neuen, zeitgenössischen Wahrzeichen der Stadt oder einem neuen Aufenthaltsort entwickeln. Die Insel ist nicht zweckgebunden, nicht klar definiert und schon gar nicht kommerzialisiert, sondern unvoreingenommen und frei von jeglichem Flächenwidmungsplan.

Nicht nur in Fürstenfeld, sondern auch in größeren Städten wie in Wien das Donauinselfest, in Budapest das Sziget oder in New York The Governors Ball Music Festival finden kulturelle Veranstaltungen auf Inseln statt. Das Mariainsel-Kultur-Festival kann gegebenenfalls als kleinste Festivalinsel der Welt ins Guinness Buch der Rekorde aufgenommen werden. Die Mariainsel rückt Fürstenfeld über die Sommermonate 2018 ins kulturelle Zentrum der Region. Trotz geografischer Begrenzung erlangt sie überregionalen Bedeutung: Die Insel funktioniert als Attraktion für die Fürstenfelder Bevölkerung genau so wie auch für Touristen und Kunstinteressierte. Abgesehen davon bleibt die Möglichkeit offen, das Festival jährlich oder biennal zu wiederholen, wenn die künstlich angelegte Insel, mit ihrer bühnenähnlichen Plattform, die an der Schnittstelle zwischen Kunst, Kultur und Freizeit changiert, permanent bestehen bleiben dürfte.
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8.6.2018, 19 Uhr

Barbara Kapusta

We Make the Place by Playing

kuratiert von Anne Faucheret
bis 17.6.2018
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Barbara Kapustas Arbeit kreist um die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt und um die realen wie fiktiven Möglichkeiten der Kommunikation und des Austauschs zwischen Menschen, Dingen und ihrer Umwelt. Die österreichische Künstlerin erfindet und modelliert fiktive Objekt-Personen, anthropomorphe Dinge und sprechende Gegenstände, die gleichzeitig unheimlich und familiär sind. Sie sprechen von der Hybridisierung von Design, Alltagsgegenstand, künstlerischem Objekt und Körper, von Oberfläche und Material, vom Benutzen, Berühren und Spielen.
We Make the Place by Playing ist eine neue Installation der Künstlerin aus Keramik-Objekten, Metallkörpern und Text, die gleichzeitig im öffentlichen Raum in Prag und auf der Mariainsel in Fürstenfeld zu sehen ist. Comichafte Hände und elastisch ausgedehnt wirkende Köpfe mit matter und leicht unregelmäßiger Oberfläche sind zugleich Protagonisten, Marionetten, Platzhalter und Skulpturen. Kapustas Werke sind nie leblose Objekte, die ein passives Dasein führen, sondern Teile eines Systems von Bedeutsamkeit, die uns helfen können die Welt und Umwelt anders zu erleben und erfassen.
Die angedeuteten Körper in We Make the Place by Playing werden zu einer heterogenen Ansammlung an Fragmenten, zu einer changierenden Konstellation, die von jeglichen binären Normen und Identitätszuschreibungen befreit ist. Zwischen Teil und Gesamtheit entfaltet sich der erwünschte, zukünftige – noch fiktionale – Körper gegen die gewöhnlichen dualistischen (männlich/weiblich, natürlich/technologisch, objektiv/subjektiv, aktiv/passiv) Trennlinien. Er fließt in seine Umwelt hinein. Leise, spielerisch und offen lässt er neue Zukunftsvorstellungen des Zusammenlebens spüren.
Wann wird ein Ding zu einem Fragment, und ein Fragment zu einem Körper? Was passiert, wenn Dinge mit uns und miteinander zu sprechen anfangen, wenn sie die Welt aus ihrer Sicht beschreiben und erzählen? Wie können wir dann mit Dingen zusammenleben?

Ein zentrales wiederkehrendes Element in Barbara Kapustas (*1983 in Lilienfeld) Arbeit ist die Verknüpfung des Körpers mit Materialität und Sprache. Mit einer Handlungsmacht betraut, erlaubt diese Materialität eine Diversität und Verletzlichkeit. Derzeit lebt und arbeitet die Künstlerin in Wien. Ihre Objekte, Videos und textbasierten Arbeiten waren zuletzt in den Ausstellungen Empathic Creatures bei Ashley Berlin (2018), In Middens, Gianni Manhattan, Wien, 2017; Instructions for Happiness, KUP, Athens 2016; Das Begreifen, und Die Sprache der Dinge, 21er Haus, Wien, 2016; The Promise of Total Automation, Kunsthalle Wien, Wien, 2016; Dinge und Dialoge, Scriptings, Berlin 2015; Mouth As Is A Haunted House, Beautiful Gallery, Chicago 2015; Poesie, mumok kino, Wien, 2015 zu sehen.

Anne Faucheret, 1981 in Paris geboren, ist Kunsthistorikerin und Kunstkritikerin. Seit 2014 ist sie Kuratorin in der Kunsthalle Wien. Faucheret zeichnete u.a. für Ausstellungen wie The Promise of Total Automation (2016) und Work It, feel it! (2017) verantwortlich. Zwischen 2010 und 2015 war sie als kuratorische Beraterin für den steirischen herbst tätig, wo sie Adaption (2012) und Liquid Assets (2013) organisierte und das 24/7 Marathon-Camp Truth is concrete (2012) co-kuratierte. Ihre Forschung konzentriert sich auf Fragen des politisch-ästhetischen Engagements, der kulturellen Übersetzung und ihrer Vermittlung, sowie der Beziehung zwischen Technologie und Kunst.
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22.6.2018, 19 Uhr

Justin Lieberman

LODGE

kuratiert von Stephanie Weber
bis 1.7.2018
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Justin Liebermans Intervention schöpft gleichermaßen aus der Geschichte der Land Art und den Formen lokaler Fauna und sucht, die Nützlichkeit von Kunstwerken zu verlängern, deren Lebenszyklus sich eigentlich dem Ende zuneigt. Aus seinem eigenen skulpturalen und malerischen Surplus sowie gestifteten Werken von Fürstenfelder/innen und Kunststudent/innen aus Graz und Wien, baut Lieberman einen Damm und Bau in Biberart - wohlvertraute Formen in der Gegend um Fürstenfeld. Während Biber in ihrer Mehrzahl oftmals als Plage beschrieben werden, betont Lieberman ihre dialektische Natur als Zerstörer und Architekten. Die Fäll- und Bauaktivität der Biber schafft neue Lebensräume in Form von Feuchtgebieten, die zahlreiche andere Tiere anziehen. Die Verwandlung der Materialien in Lodge deutet eine Kunstökologie im Sinne des Gesetzes von der Erhaltung der Masse des französischen Chemikers Antoine Lavoisier an, laut welchem Materie weder kreiert noch zerstört werden kann.

Justin Lieberman, 1977 in Gainesville, Florida/USA, geboren, ist ein US-amerikanischer Künstler und Lehrender mit Wohnsitz in München. Seine Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen in Europa und USA präsentiert. Liebermans humorvolles und anspielungsreiches Werk versucht sich an einer Kartierung der es umgebenden politischen und ökonomischen Strukturen. Lieberman studierte an der Yale University, New Haven, sowie der School of the Museum of Fine Arts in Boston und unterrichtete unter anderem am Queens College in New York, der School of the Museum of Fine Arts in Boston sowie an der Akademie der Bildenden Künste München. Zuletzt waren seine Arbeiten bei District Berlin, dem Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, dem Musée régional d'art contemporain Occitanie und im Confort Moderne in Poitiers zu sehen.

Stephanie Weber (*1978) ist seit 2014 Kuratorin für Gegenwartskunst am Münchner Lenbachhaus. Zuvor war sie von 2010–2014 Assistenzkuratorin am Museum of Modern Art in New York.
Am Lenbachhaus kuratierte sie 2015 das Ausstellungs-, Publikations- und Restaurierungsprojekt zum Werk der argentinisch-französischen Konzeptkünstlerin Lea Lublin (ausgezeichnet mit dem Justus Bier Preis für Kuratoren). Sie organisierte außerdem die Ausstellungen Rochelle Feinstein. I Made a Terrible Mistake (2016, ausgezeichnet mit dem Preis für die „Besondere Ausstellung“ vom AICA Deutschland), Favoriten III (2016), After the Fact. Propaganda im 21. Jahrhundert (2017) und die Filmreihe Normalzustand. Undergroundfilm zwischen Punk und Kunstakademie (2017).
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6.7.2018, 19 Uhr

Cesare Pietroiusti

Non-Functional Thoughts

kuratiert von Kate Strain
bis 15.7.2018
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5-tägiger Workshop mit Cesare Pietroiusti zwischen 2. und 6. Juli 2018, täglich von 10 bis 13 und 15 bis 17 Uhr, im Grazer Kunstverein und in Fürstenfeld. Teilnehmer/innen jeglicher Herkunft und jeglichen Alters sind herzlich willkommen, sich mit dem Betreff Workshop per Email office@grazerkunstverein.org anzumelden. Ein Imbiss wird während der Workshop-Zeiten bereitgestellt und die Reisekosten zwischen Graz und Fürstenfeld zurückerstattet. Die Workshop-Teilnehmer/innen erhalten außerdem ein Exemplar von Pietroiustis Publikation Non-Functional Thoughts.
Der Workshop erkundet künstlerische Prozesse, die auf Cesare Pietroiustis neuer, zweisprachiger Publikation Non-Functional Thoughts basieren. Die Teilnehmer/innen durchlaufen eine Serie von kleinen, konzeptuellen Kunstprojekten, bei denen alltägliche Objekte, Methoden, Requisiten und Menschen mit einbezogen werden. Unkonventionelles Denken und künstlerische Ideen werden in unterschiedliche Kontexte und Situationen gestellt. Die Ergebnisse des Workshops werden am Freitag, den 6. Juli, auf der Mariainsel performativ präsentiert.

Cesare Pietroiusti, 1955 in Rom geboren, lebt und arbeitet in Rom. In seiner Arbeit beschäftigt er sich oft mit problematischen und paradoxen Situationen, die in alltäglichen Handlungen verborgen liegen. 1997 veröffentlichte er die Broschüre Non-Functional Thoughts, die mehr als einhundert nutzlose, ungewöhnliche oder inkongruente Ideen enthält, die von jedem als Mikrokunstprojekte realisiert werden können. In einer Zeit in der Kunst zunehmend instrumentalisiert wird und in der Menschen durch polarisierende Kräfte kategorisiert und gespalten werden, dient Non-Functional Thoughts auf spielerische, aber auch kritische Art als zeitgemäßer Leitfaden, zur Wiedervereinigung von Menschen und Individuen.

Kate Strain, 1983 in Dublin geboren, arbeitete u.a. im Project Arts Centre in Dublin und im Kunstraum Cow House Studios in Wexford, Irland. Im Jahr 2016 war Strain Mitbegründerin des ersten Department of Ultimologie am Trinity College in Dublin und nahm im selben Jahr beim Curators Residency Program der Fondazione Sandretto Re Rebaudengo in Turin teil. Seit 2016 ist Strain die künstlerische Leiterin des Grazer Kunstvereins.
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20.7.2018, 19 Uhr

Andrea Maurer / Julius Deutschbauer

Name und Notwendigkeit

kuratiert von Bettina Kogler
bis 29.7.2018
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Eine Installation und Abenteuerlesung mit doppeltem Boden: Der eine liest, die andere legt Hand an Tisch und Wort, Namen und Stuhl. Sessel, Bein und Boden, Namen und Wort sind ein öffentlicher Ort. Jedes Ding hat seinen Namen; jede Sache braucht sein Wort. Die Sache ändert sich, das Wort bleibt. Die eine schlägt ein Buch auf, der andere neigt sich über Sache und Ding. Latte und Leiter, Tisch und Stuhlbein, Seil und Knoten geraten in Schieflage. „Durch verschiedene Arten von Rede wird der Name von Glied zu Glied verbreitet wie durch eine Kette“ (Saul A. Kripke, Namen und Notwendigkeit, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993, S. 107). Maurer bearbeitet Namen, Worte und Gegenstände, Deutschbauer faselt/rezitiert am anderen Ende der Kette. Hat die Kette denn ein Ende?

Andrea Maurer, 1978 in Salzburg geboren, lebt und arbeitet als bildende Künstlerin, Performerin und Choreografin in Wien. Maurer wurde 2013 für die Installation Gesprächsgegenstände mit dem Salzburger Landespreis für Medienkunst ausgezeichnet. Für die Performance SELBSTZERLEGUNG erhielt sie 2016 den H13 Preis für Performance des Kunstraum Niederösterreich. Die Tageszeitung Der Standard bezeichnete sie als „Meisterin der Sprach- und Bedeutungszerlegung“, deren „Gesprächsgegenstände die Logik der Gebrauchskommunikation mit Witz ad absurdum führen“.

Julius Deutschbauer, 1961 in Klagenfurt geboren, lebt als bildender und Plakatkünstler, Performer, Filmer und Autor in Wien. Performative Arbeiten u.a. im Tanzquartier Wien, Donaufestival, Sophiensäle Berlin, Kampnagel Hamburg, mumok - Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig und bei der Sommerszene Salzburg mit einem Blog - zuletzt 2016 mit dem „Antirassismusvergnügungspark“. Seit 1997 betreibt er die Bibliothek ungelesener Bücher (www.bibliothek-ungelesener-buecher.com). Mit seinen bildnerischen Arbeiten ist er in der Galerie Steinek, Wien und EBENSPERGER, Berlin/Salzburg vertreten.

Bettina Kogler, 1974 in Wolfsberg geboren, war von 1999 bis 2003 als freie Produktionsleiterin für verschiedene freie österreichische Tanz- und Performancegruppen tätig. Zwischen 2003 und 2006 war Kogler die künstlerische Leiterin des Festivals imagetanz und betreute Tanz- und Performanceprojekte im dietheater Wien. Danach war sie bis 2012 als Kuratorin in brut Wien tätig und führte dort das Tanz- und Performancefestival imagetanz fort. Zwischen 2013 und 2017 war sie die künstlerische Leiterin der Abteilung performing arts im WUK und ab 2018 übernahm Kogler die Leitung im Tanzquartier Wien.
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3.8.2018, 19 Uhr

Marina Sula

And this is, again, a fertile state

kuratiert von Severin Dünser
bis 12.8.2018
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Marina Sula beschäftigt sich mit Macht- und Glaubensstrukturen, mit Schemata menschlicher Interaktion und Kollektivität, mit Systemen, die Identitäten und Affekte vermitteln. Ein Aspekt dieser Themenkomplexe sind die Rituale und Handlungen, die uns in zunehmend unsicherer wirkenden Zeiten Halt zu geben scheinen. Unter dem Druck ständiger Selbstoptimierung und Effizienzsteigerung wächst auch das Bedürfnis nach Entschleunigung. Regenerierende und persönliche Rituale im Alltag versprechen Wohlbefinden.
In Analogie zum Konsumgut gewordenen Wellness offeriert Marina Sula den Besucher/innen der Mariainsel Liebesportionen und Heilelixiere. Die Zusammensetzung basiert auf alten Rezepten aus dem Balkan und im Gegensatz zu ihren verrufenen Nachkommen, den Energydrinks, verheißen sie sofortige Gesundung und zwischenmenschliche Verbindung.

Severin Dünser über die Arbeit And this is, again, a fertile state von Marina Sula:
Im Wesentlichen sind zwei Bilder ausgestellt, die auf Planen gedruckt wurden. Auf dem einen Bild ist ein Baum dargestellt. Er ist krumm, und an einen geraden Pfosten angebunden. Marina Sula hat das Bild nicht selbst gezeichnet, sondern es sich ausgeliehen. Das Bild stammt nämlich von einem Buch aus dem Jahr 1741. Der Autor, Nicolas Andry, ein Kinderarzt, illustrierte damit seine neuartigen Thesen, die er mit „Orthopädie“ betitelte. Er verwendete das Bild des krummen Bäumchens, das an einen kräftigen Pfahl gebunden wird um dadurch gerade zu wachsen, als Metapher für die Orthopädie, die das Beheben von Fehlbildungen im Stütz- und Bewegungsapparat des Menschen zum Ziel hat.
1975, also mehr als 200 Jahre später, verwendet ein anderer Franzose das Bild erneut in einem Buch. Diesmal ist es Michel Foucault, ein Philosoph. Er beschreibt in „Überwachen und Strafen“ die Entwicklung der Gefängnis- und Bestrafungsstrukturen seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Ich zitiere kurz daraus:
Die Zuchtgewalt ist in der Tat eine Macht, die, anstatt zu entziehen und zu entnehmen, vor allem aufrichtet, herrichtet, zurichtet – um dann allerdings um so mehr entziehen und entnehmen zu können. Sie legt die Kräfte nicht in Ketten, um sie einzuschränken; sie sucht sie allesamt so zu verbinden, dass sie vervielfältigt und nutzbar gemacht werden. Anstatt einheitlich und massenweise alles zu unterwerfen, was ihr untersteht, trennt sie, analysiert sie, differenziert sie, treibt sie ihre Zersetzungen bis zu den notwendigen und hinreichenden Einzelheiten. Sie richtet die unsteten, verworrenen, unnützen Mengen von Körpern zu einer Vielfalt von individuellen Körpern, Elementen, kleinen abgesonderten Zellen, organischen Autonomien, evolutiven Identitäten und Kontinuitäten, kombinatorischen Segmenten ab. Die Disziplin »verfertigt« Individuen: sie ist die spezifische Technik einer Macht, welche die Individuen sowohl als Objekte wie als Instrumente behandelt und einsetzt. Foucault beschreibt mit dem Bild in seinem Buch also die Idee des buchstäblichen „Zuchthauses“, in dem einzelne Personen durch Disziplinierungsmaßnahmen und Strukturen dazu gebracht werden, gesellschaftliche Normen zu verinnerlichen und nach einem Transformationsprozess als „gute Bürger“ zur Produktivität der Gesellschaft beizutragen.
Durchaus kritisch versucht Foucault am Beispiel des Gefängnisses eine These anschaulich zu machen: Dass wir auch außerhalb von Gefängnissen mittlerweile in einer modernen „Disziplinargesellschaft“ leben, in der der Mensch in Schulen, Kasernen, Büros und Unternehmen zum guten, produktiven Bürger erzogen wird. Und wir haben das ja auch verinnerlich: die Optimierung von Arbeit und Freizeit, wenn wir etwa unsere Schritte mit dem Handy zählen oder auch den Kalorienverbrauch, Energydrinks konsumieren um unsere Leistung zu steigern, wenn wir abwägen wieviel Zeit wir mit welchen Menschen verbringen und im Kopf Aufwand-Nutzen-Rechnungen anstellen, dann kann man durchaus von Selbstdisziplinierungsmaßnahmen sprechen, die wir auf uns selbst anwenden. Das zweite Bild, auf dem wir zwei sich verschränkende, tätowierte Arme sehen, deutet auf ein weiteres Phänomen hin. Es hat auch mit Disziplinierung zu tun, allerdings auf anderer Ebene. In gruppendynamischen Prozessen positioniert sich der und die Einzelne innerhalb der Gesellschaft. Innerhalb kleiner Gruppen wird im Kontext einer Zugehörigkeit ein Selbstbewusstsein für die eigene Identität ausgebildet, während sich die Gruppe bewusst von anderen abgrenzt – oft wird das über Äußerlichkeiten gemacht, wie z.B. über Tätowierungen, die Ausdruck einer bestimmten Zugehörigkeit sind. Gleichzeitig unterwirft sich das Individuum damit den Normen und Codes einer Gruppe, die oder der Einzelne schränkt also zugunsten einer Zugehörigkeit und klaren Positionierung innerhalb der Gesellschaft den eigenen Handlungsspielraum ein und gibt Freiheiten auf.
Auf einer Insel, die durch einen Eingriff in die mehr oder weniger ungebändigte Natur entstanden ist, kommentiert Marina Sula also Tendenzen in unserer Gesellschaft kritisch, symbolisch gesprochen krumme Bäumchen nicht einfach weiter wachsen zu lassen, sondern an geraden, rechtwinkligen und genormten Pfosten auszurichten.
Unter dem Druck ständiger Selbstoptimierung und Effizienzsteigerung wächst jedenfalls auch das Bedürfnis nach Entschleunigung. Regenerierende und persönliche Rituale im Alltag versprechen Wohlbefinden. In Analogie zum Konsumgut gewordenen Wellness offeriert Marina Sula auch eine Mischung aus einer Liebesportion und einem Heilelixier. Die Zusammensetzung basiert auf alten Rezepten aus dem Balkan und im Gegensatz zu ihren verrufenen Nachkommen, den Energydrinks, verheißen sie sofortige Gesundung und zwischenmenschliche Verbindung.


Marina Sula, 1991 in Lezhe, Albanien geboren, lebt und arbeitet in Wien. Sie arbeitet medienübergreifend zwischen Skulptur, Fotografie und Installation und an der Schnittstelle zwischen Digitalem und Analogem. Werke von Sula waren zuletzt in Österreich, Italien und Albanien in Ausstellungen zu sehen, etwa im Nationalhistorischen Museum Tirana, im Kunstverein Kevin Space, Wien und der Galerie Gabriele Senn, Wien.

Severin Dünser, 1980 in Wien geboren, ist Kurator für zeitgenössische Kunst am 21er Haus in Wien. Zwischen 2009 und 2012 leitete er gemeinsam mit Christian Kobald den Kunstverein Contemporary Concerns (COCO) und zuvor Krinzinger Projekte. Als freier Kurator organisierte er zahlreiche Ausstellungen und schrieb unter anderem für Spike Art Quarterly und mono.kultur.
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17.8.2018, 19 Uhr

Rotten Bliss

Seaweed Queen

kuratiert von Thomas Edlinger
bis 26.8.2018
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Rotten Bliss ist das Soloprojekt der Londoner Avantgarde-Cellistin, Vokalistin und Instrument-Erfinderin Jasmine Pender (*1985 in Harlow, UK). Beeindruckt von Jacqueline du Prés wilder Körperlichkeit, begann Jasmine als Teenager im Südosten Englands klassisches Cello zu spielen. Aber L.A.s Heavy Psych Scene inspirierte sie dazu, auf ein elektrisches Modell zu wechseln und mit Effektpedalen zu experimentieren. Rotten Bliss kombiniert Drone, Blues, Folk-Noir, Noise und cinematografische Klanglandschaften mit wilden und intimen Vokalstücken. Ihr erstes Album Nightwatchman Sings wurde 2017 auf Reverb Worship veröffentlicht.
„Eine Angelegenheit voll beunruhigender dunkler Schönheit, die mit einem sowohl magischen wie makabren Unbehagen an Nicos Kälte erinnert“ (Mark Barton, The Sunday Experience); „Dunkle und traumartige Soundscapes, fragile, kühne Geschöpfe aus der Nacht, die in legendären Mooren und an einsamen Küsten herumspuken“ (Anaïs Prosaic, Regisseurin von Éliane Radigue, l’ecoute virtuose).

Thomas Edlinger, 1967 in Wien geboren, ist der künstlerische Leiter des Donaufestival in Krems. Edlinger arbeitet als Radiomacher, Kulturjournalist, Autor und als Lehrbeauftragter an der Universität für Angewandte Kunst in Wien im Fachbereich Kunst und Wissenstransfer. Sein letztes Buch „Der wunde Punkt. Zum Unbehagen an der Kritik“ erschien 2015 im Suhrkamp Verlag.
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