English version below
Brihdy, 2016
Galerie unttld contemporary, Wien / AT
Text: Georgia Holz
Eine Mise-en-scène in drei Akten
Alfredo Barsuglias künstlerische Praxis ist nicht auf eine „Gattung“ reduziert, sie ist gekennzeichnet von der bewussten Vermischung der Medien: Man könnte sie durchaus als hybrid bezeichnen. Der Erfindungsreichtum des Künstlers kennt keine Grenzen, und seine Rolle scheint eher der eines Theaterregisseurs zu entsprechen. Für die Ausstellung Brihdy hat Barsuglia eine räumlichen Inszenierungen geschaffen, die sich am ehesten mit dem im Film oder Theater verwendeten Begriff Mis-en-scène beschreiben lässt – eine präzisen Bildkomposition, die die Anordnung der Protagonist_innen und Dinge im Raum, die Farb- und Lichtgestaltung, Ausstattung, Kostüme ebenso einschließt wie die Schauspielerführung, den Gesang und die Dramaturgie. Die gesamte Galerie fungiert als Bühne für eine idiosynkratische Wirklichkeitsillusion, in der jedes Detail symbolische Bedeutung hat, die nur darauf wartet, entziffert und dechiffriert zu werden.
Barsuglias „Bühnen-Bild“ erstreckt sich über zwei Ebenen, die durch eine Art performativen Kreislauf miteinander verbunden und während der Ausstellungseröffnung von vier Protagonist_innen – dem Künstler, zwei Schüler_innen einer Gesangsschule (Deniz Haimayer, Simon Stabauer) und einem Opernsänger (Stefan Zenkl) – „bespielt“ werden. Die Zweiteiligkeit ist letztlich, wie bei den meisten Installationen des Künstlers, der Ortspezifik des Galerieraums geschuldet.
Der kojenartige, autarke Arbeitsbereich im Erdgeschoss der Galerie erinnert an ein Studiolo und enthält auf engstem Raum alles, was der Künstler zum Arbeiten braucht. Während der Ausstellungseröffnung sitzt Barsuglia in diesem Zufluchtsraum und „produziert“ Scherenschnitte ohne mit den Besucher_innen in Kontakt zu treten. Dies tut er lediglich über seine Kunst, indem er die fertig gestellten Zeichnungen in ballonartigen, mit Helium gefüllten Behältnissen in das Obergeschoss des Ausstellungsraumes schweben lässt, wo die Kinder sie in Empfang nehmen.
Auf der zweiten Ebene hat Barsuglia eine Art Parcours aus Objekten installiert, die er in der Natur gefunden und manipuliert hat. Sie sind Kunstobjekte und Spielzeug zugleich, bestechen durch ihre kunstvolle, handwerkliche Bearbeitung. Zwei lange Stöcke, mit denen die Kinder die Zeichnungen „fischen“, wurden an ihrer Oberfläche veredelt und die geweißten Spitzen glattpoliert wie Keramiken. Ein großer Ast, zur Harfe umfunktioniert, und mit Rinderblut gefärbte Holzstäbe dienen den Kindern ebenso als Spielzeug. Daneben eine hybride Skulptur aus Beton und Ziegelmasse, von der Natur selbst geformt, von der Strömung der Donau. In ihren Rissen hat der Künstler Petersilie gepflanzt. Überhaupt finden sich in der gesamten Inszenierung immer wieder Pflanzenzöglinge in Glasbehältnissen, die wie alle anderen „Requisiten“ in der Natur gefundenen, manipuliert und „domestiziert“ wurden. Nichts ist in seinem ursprünglichen Zustand belassen, alles durch die Hand des Künstlers bearbeitet.
Auch das scheinbar beiläufige Spiel der Kinder erfüllt durchaus den Zweck der künstlerischen Produktion: Von einer Schaukel in Form eines Jutesacks aus, malen sie an einem Bild weiter, das der Künstler begonnen hat. Auch hier spielt die Natur eine Rolle, denn die rötliche Farbigkeit rührt von den verwendeten Beeren, Blättern und Gräsern. Ein augenzwinkernder, spielerischer Verweis auf die Kunstgeschichte, die gestische Malerei des Action Paintings. Wann immer eine der von Alfredo Barsuglia gefertigten Scherenschnitte bei den Kindern ankommt, unterbrechen sie ihre spielerische Tätigkeit und stimmen ein neues Lied an, dessen Text eher an ein „Anti-Arbeiterliedes“ erinnert.
Den dritten Part in dieser Aufführung verkörpert ein klassisch ausgebildeter Sänger, dem die Kinder die Zeichnungen übergeben. Wie beiläufig fungiert er auch als lebender Sockel für eine Videoarbeit Barsuglias, die auf dem Tablet in seinen Händen zu sehen ist: ein „Tanzstück für Finger und Holz“. Sobald er die Zeichnungen in Empfang nimmt, stimmt auch er ein Lied an und bewegt sich mithilfe einer Hängevorrichtung, deren Gegengewicht aus einem Sack voll Erde besteht, auf die untere Ebene der Galerie. Er tritt als das kommunikative Alter Ego des Künstlers auf und preist mit seinem Lied die Kunst an: Brihdy! – Oh wie schön! – Ein Werk ist da! – Ich freue mich, – Es gibt mir Sinn! – Schluss mit Ruhe; – Dem sinnlosen Getue. Er schließt den „Kunstkreislauf“ indem er die Scherenschnitte endlich ihrer Bestimmung übergibt: den Besucher_innen der Ausstellung. Schließlich beginnt das Schauspiel von neuem und der Sänger kehrt an seinen Ausgangspunkt zurück.
Diese vielteilige Mis-en-scéne trägt insofern zur Erweiterung des Kunstbegriffs bei, als der Künstler keine Unterscheidung zwischen alltäglichen, gefundenen, handwerklich bearbeiteten und Kunstobjekten macht; jeder Teil ist gleich relevant, wie ein Requisit für die Ausstattung eines Films oder Theaterstücks. Gleichzeitig konterkariert die aufwändige Inszenierung die Funktion der Galerie als Ort kommerzieller Interessen und reorganisiert die Logik ihrer Verwertungsmechanismen. Der Galerie durchläuft, zumindest für einen Abend, eine Transformation zu einem Ort der Produktion, dessen „Produkt“, die Scherenschnitte, verschenkt werden. Selbst die Malereien und Zeichnungen des Künstlers werden als Requisiten dieser Szenerie wie beiläufig zur Aufführung gebracht und während der Dauer der Performance laufend ausgetauscht. Der Titel der Ausstellung – ein Anagramm von Hybrid – reflektiert diese Mechanismen der Befragung und Umkehrung.
Brihdy, 2016
Galerie unttld contemporary, Vienna / AT
Text: Georgia Holz
A mise-en-scène in Three Acts
Alfredo Barsuglia’s artistic practice is not reduced to a single “genre”, it is characterised by a conscious mixing of media: one could aptly describe it as hybrid. There are no limits to the artist’s ingenuity and his role seems to be more in keeping with that of a theatre director. For the exhibition Brihdy Barsuglia has created a space that in film and theatre would be described as a mis-en-scène – a precise pictorial composition that entails arranging the protagonists and props in space, coordinating the colour scheme and lighting design, creating the scenery and costumes as it does the directing of the actors, the vocals and the dramaturgy. The whole gallery serves as a stage for an idiosyncratic illusion of reality in which every detail possesses a symbolic meaning that awaits to be decoded and deciphered.
Barsuglia’s “stage(d)-picture” spans two levels, connected to one another by a kind of performative loop and “played upon” at the exhibition opening by four protagonists – the artist, two young students of a vocal academy (Deniz Haimayer, Simon Stabauer) and an opera singer (Stefan Zenkl). The division into two parts is ultimately, as in most of the artist’s installations, due to the specifics of the gallery space.
The bunk-like, self-contained working area on the gallery’s ground floor recalls a studiolo and contains in the tightest of spaces everything an artist needs to work with. During the exhibition opening Barsuglia sits in this tiny shelter and “produces” silhouettes without initiating any contact to the visitors. He does this solely through his art, placing the completed drawings in balloon-like containers filled with helium and letting them float up to the upper storey of the exhibition space, where the children take delivery of them.
On the upper level Barsuglia has installed a kind of obstacle course out of objects he found in nature and subsequently handled in different ways. They are art objects and playthings at once, visually captivating thanks to the ornately crafted workmanship. Two long sticks, which the children use like fishing poles to “catch” the drawings, have had the details of their surfaces delicately enhanced and the whitened tips polished smooth like glazed ceramics. A large tree limb, converted into a harp, and wooden sticks dyed in cattle blood, also serve as playthings for the children. Next to them stands a hybrid sculpture out of concrete and a mass of bricks, formed by nature itself, the current of the Danube. The artist has planted parsley in the cracks. And indeed, throughout the whole scenery one comes across young plants in glass containers, which like all the other “props” were found in nature, handled by the artist and so “domesticated”. Nothing is left in its original state, everything has been worked on by the artist.
Even the seemingly casual play of the children serves the purpose of the artistic production: from a swing made out of a jute sack they continue painting a picture the artist had begun. Here, too, nature plays a role, for the reddish colours stem from berries, leaves and grasses. A tongue-in-cheek, playful allusion to art history: the gestural style of Action Painting. Whenever one of the silhouettes completed by Alfredo Barsuglia reaches the children, they interrupt their play and strike up a song, the lyrics of which are more like an “anti-protest song”.
The third part in this performance is played by a classicallytrained singer, to whom the children hand over the drawings. As if it were quite normal, he also functions as a living pedestal for a video work by Barsuglia, which can be viewed on the tablet he holds in his hands: “dance piece for finger and wood”. As soon as he receives the drawings he also strikes up a song and is lowered – aided by a hanging construct counterweighted by a sack of earth – to the lower level of the gallery. He plays the part of the artist’s communicative alter ego and with his song praises art: Brihdy! – Oh, how wonderful! – A work is there! – I’m thrilled – It gives me meaning! – Finally an end to the quiet – The meaningless fuss. He closes the “art loop” by finally handing over the silhouettes to whom they were made for: the visitors of the exhibition. And then it all begins again and the singer is hauled back up to the upper level.
This multipart mis-en-scéne contributes to broadening the concept of art insofar as the artist makes no distinction between the everyday objects he has found and worked over and art objects; each piece is equally relevant, much like the props for the setting of a film or a play. At the same time, the elaborate staging runs counter to the gallery’s function as a place where commercial interests take precedence, thus also reorganising the logic of its mechanisms of gainful utilisation. The gallery undergoes, for an evening at least, a transformation, becoming a place of production, and the “product” created, the silhouette drawings, are given away. Even the paintings and drawings of the artist are themselves presented – one could perhaps even say enacted – in passing, for as props in the setting they are swapped continuously during the performance. The title of the exhibition – an anagram of ‘hybrid’ – reflects this mechanism of constantly questioning and inverting.
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Fallbeispiel, 2015
Kunsthalle arlberg1800, St. Christoph am Arlberg / AT
Text: Barbara Horvath
Wollte man Alfredo Barsuglia als „Fallensteller“ bezeichnen, würde er umgekehrt die Frage stellen, ob seine befremdlich wirkende Performance im Rahmen der Eröffnung von High Performance, der ersten Ausstellung in der Kunsthalle arlberg1800, nicht ebenso als ein Hinweis auf die grundlegende, täuschende und verführerische Wirkung von Kunst an sich gelesen werden kann. Denn Kunst und Fallen haben einiges gemeinsam.
Barsuglia stellt uns (den BesucherInnen / KunstrezipientInnen) buchstäblich eine Falle: Die gerahmte Schwarzweißfotografie an der Wand mit der Abbildung einer dichten Rasterung von Zweigen, die ein Loch in der Erde abdecken (eine Fallgrube?), ein neun Meter langer Baumstamm, der bis zur Decke reicht und dessen Spitze gelb, weiß und violett lackiert glänzt, der dunkelbraune, hölzerne Hochstand, auf dem sich ein weiteres „Kunstwerk“ in Form eines jungen Mannes befindet, dessen linker Arm mittels einer Liane mit dem Hochstand verbunden ist und der scheinbar gelangweilt nach dem Publikum schielt. Nichts deutet darauf hin, dass hier der Schein trügt und die präsentierten Kunstwerke „bloß“ Requisiten für eine nicht angekündigte Performance sind.
Fallbeispiel ist eine sich den Raum aneignende Arbeit, bei der ästhetische Inszenierung, Dramaturgie und Choreografie präzise ineinandergreifen: Der Mann mit Hemd und Krawatte ist sowohl das künstlerische Objekt (auf dem Podest) als auch die performative Figur, die – am Gängelband geführt – eingeschränkt spricht und agiert und dabei an ein „lebendes Bild“ erinnert.
Entgegen dem langen Verharren in einer regungslosen Pose, das gelegentlich durch ein Augenzwinkern oder einem skeptischen Blick auf das Publikum unterbrochen wird, ist dieser männliche Körper nicht als ein Tableau fixiert und der sprachlichen Kommunikation enthoben, sondern ganz im Gegenteil: Alles an ihm spricht, ist traurig, dann zornig. In Anlehnung an Peter Handkes 1966 in Frankfurt am Main erstmals aufgeführtes Schauspiel Publikumsbeschimpfung beginnt der Performer jedoch nicht mit einer Verneinung. Ausdrücklich bejahend spricht er das Publikum plötzlich und unerwartet direkt an: „Ich bin ein Kunstwerk. Ein sinnloses Kunstwerk. Meinesgleichen gibt es viele. Aber nur wenige sind sich dessen bewusst.“ Die für den Moment gewonnene Aufmerksamkeit verwendet der junge Mann, um sich dem Publikum direkt zuzuwenden: „Ich betrachte euch. Ich betrachte euch! Und dabei wird mir schlecht, so schlecht. Wenn ich euch hier stehen sehe, kommt mir das Kotzen. Denn ich bin sehend! Und ich sehe Kotzbrocken. Viele Kotzbrocken. Kotzbrocken und profilierte Arschlöcher!“ Das personifizierte Kunstwerk richtet sich auf, und von oben herab schimpft es, schreit, klagt an, verurteilt, spuckt, fletscht die Zähne, schlägt um sich und dabei tatsächlich alles rundherum kurz und klein und verlässt danach erschöpft den Ausstellungsraum. Zurück bleiben Fragmente, wertlos gewordene Bausteine, mit denen nicht viel anzufangen ist.
Barsuglias konstruiertes Fallbeispiel irritiert, provoziert und verleitet zu vorschnellen Urteilen. Das Publikum wird verbal wie physisch regelrecht attackiert. Doch lässt sich die Rezipientin / der Rezipient auf die Performance ein, auf deren zweideutiges Spiel, dessen philosophische Wahrheit darin besteht, Kunst als Falle zu entlarven, erscheint das Werk wie eine Anregung. Eine Anregung, Kunst als etwas zu begreifen, das vorgibt, etwas zu sein, was es nicht ist oder, entlang ästhetischer Theorien formuliert, als Spiegel der Gesellschaft, der normative Maßstäbe dafür vorgibt, was Kunst sein darf und was nicht. Fallbeispiel hinterfragt, was ein Kunstwerk zu einem solchen macht und welche Rolle, auch hinsichtlich ihres Werts, dabei der Künstlerin / dem Künstler und der künstlerischen Institution zukommt. „Wie kann ich euch ein Spiegel sein, wenn ihr doch blind seid? Wie kann ich euch ein Echo sein, wenn ihr doch taub seid! Nur stumm seid ihr nicht: Ihr redet, und redet immerfort, ohne zu überlegen, verachtenswertes Zeug. Ihr seid verachtenswert!”
Setup Example, 2015
Kunsthalle arlberg1800, St. Christoph am Arlberg / AT
Text: Barbara Horvath
If one were to characterize Alfredo Barsuglia as a “trapper,” he would respond with a question: couldn’t his disconcerting performance at the opening of High Performance, the first exhibition held at Kunsthalle arlberg1800, also be taken as a sign of the pivotal illusory and seductive impact of art itself? For art and traps have a few things in common after all.
Barsuglia literally sets us (the visitors / art recipients) a trap: hanging on the wall is a framed black-and-white photograph of a diagonally arranged grid of dense branches that covers a hole in the ground (a pit trap?), while leaning against the wall is a nine-meter long thin trunk that extends all the way up to the ceiling, its tip shining with yellow, white, and purple lacquer; seated on a dark-brown wooden stand is another “artwork,” a young man, whose left arm is connected to the stand by a liana and who, seemingly bored, is eyeing the audience. Nothing indicates that the appearance is deceptive and that the presented artworks are “merely” props for an unannounced performance.
Fallbeispiel is a work that appropriates space, one in which aesthetic staging, dramaturgy, and choreography intertwine precisely: the young man in shirt and tie is both the artistic object (on a pedestal) as well as the performative figure, who – as if kept on a string – is limited in how he acts and speaks, and yet resembles a “living image.”
Although frozen so long in a motionless pose, only occasionally interrupted by a wink of the eye or a skeptical look at the audience, this male body is not fixed as a tableau and deprived of the ability to communicate through language, quite the contrary: everything about him is speaking, is sad, then angry. Borrowing from Peter Handke’s play first performed in Frankfurt in 1966, Insulting the Audience, the performer does not begin with a negative. Expressly affirmative, he, suddenly and unexpectedly, speaks directly to the public: “I’m a work of art. A meaningless work of art. There are lots like me. But only a few are aware of it.” The young man uses the attention gained for the moment to turn directly to the audience: “I’m watching you. I’m watching you! And it makes me sick, really sick. When I see you all standing around here, then it makes me want to puke. I’m the one who’s looking. And I see buttheads. Lots of buttheads. Buttheads and high-profile, full-of-themselves assholes!” The personified artwork straightens itself up and rants away from above, shouts, accuses, condemns, spits, snarls, lashes out, and no longer just with the tongue, but physically as well, smashing to pieces what it can get its hands on, before leaving, utterly exhausted, the exhibition room. What remains are fragments, the building blocks of what is now completely worthless and useless.
Barsuglia’s carefully constructed Fallbeispiel irritates, provokes, and entraps, misleading us into making hasty judgments. The audience is attacked, verbally and physically. But if the recipient can open up to and engage with the performance, go along with the ambiguous game it plays – where its philosophical truth reveals art to be a trap – then the work suddenly provides lots to think about. About art pretending to be something it is not, or, formulated along the lines of aesthetical theories, about art as a mirror of society setting normative standards as to what art should be and what not. Fallbeispiel calls into question what makes a work of art a work of art and what role the artist and the artistic institution play here, also as regards the value assigned to a work. “How can I be a mirror for you when you’re all blind? How can I be an echo for you when you’re all deaf? But you’re not dumb, that’s for sure: all you do is talk and talk, on and on, mindlessly, spouting contemptible crap. You’re all so contemptible!”
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Cabinet, 2015
MAK – Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst, Wien / AT
Text: Marlies Wirth
Für seine Einzelausstellung im MAK entwickelte der Künstler Alfredo Barsuglia eine komplexe architektonische Installation, deren thematische Ebenen sich vielschichtig überlagern. In für seine Arbeit charakteristischer Weise verknüpft Barsuglia dabei Elemente des Gewohnten mit dem Unerwarteten und lotet die Grenzzonen und Übergänge zwischen Öffentlichkeit und Privatheit aus.
Der Begriff „Cabinet“ bezeichnet einen kleinen Raum, der im 18. Jahrhundert durch die neu wahrgenommenen Anforderungen an die Privatsphäre im Kontext der standardisierten Repräsentationsräume der französischen Barockarchitektur geprägt wurde. In unmittelbarer Nachbarschaft zum privaten Schlafzimmer gelegen, galt das „Cabinet“ als intimer Raum, der dem offiziellen Protokoll entsprechend nicht von BesucherInnen betreten werden durfte. Das „Cabinet“ hat seine Wurzeln im „Studiolo“ der italienischen Renaissancezeit und diente – analog zum feminin konnotierten „Boudoir“ – als Rückzugsraum und Arbeitszimmer für einen Mann. Dem neugewonnenen Bestreben nach Rückzug und Privatheit lag das Gedankengut der Humanisten zugrunde, die in der Verbindung von Bildung und Wissen mit positivem Verhalten die optimale Entfaltung der menschlichen Fähigkeiten sahen, über die sie ein idealisiertes Weltbild definierten. Der Ort diente somit der Einkehr und dem Nachdenken, an dem sein Bewohner – ganz im Sinne des Humanismus – seinen Beschäftigungen mit Büchern, wissenschaftlichen Unterlagen und (Kunst-)Gegenständen ungestört nachgehen konnte.
Barsuglias Cabinet ist ein artifizielles Setting inmitten des Museums, das den Ausstellungsraum in eine Abfolge privater Wohnräume transformiert. Wie ein Regisseur inszeniert Barsuglia das räumliche und gedankliche Eindringen in die Privatsphäre eines fiktionalen Bewohners, vielleicht des Künstlers selbst, indem die BesucherInnen durch eine vielschichtig verwobene Narration geleitet werden, die durch individuelle Assoziationen immer wieder neu erzählt wird. Während die ersten Räume noch weitgehend karg möbliert sind, verdichtet sich die Installation bei der weiteren Annäherung immer mehr und kulminiert im Hauptraum, wo sich die Spuren menschlicher Präsenz und spezifischer Interessen zu einem möglichen Bild über den erdachten Bewohner zusammenfügen. Jeden Dienstagabend können BesucherInnen (max. fünf gleichzeitig) bei einem Abendessen mit dem Künstler im Cabinet die Installation auf ihre ganz persönliche Weise erleben.
Mit gezielten Realitätsbrüchen – Fensterausblicken in die Mojave-Wüste – entspinnt der Künstler einen zusätzlichen Handlungsstrang, der auf einer weiteren inhaltlichen Ebene auf die Frage nach Rückzug, Autonomie und persönlicher Bestimmung des Menschen im Kontext einer zunehmend globalisierten Welt verweist. In der Mojave-Wüste um Los Angeles finden sich bis heute die Relikte und Ruinen von Behausungen, sogenannten „Homesteads“, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts im Rahmen des „Homestead Act“ der USA errichtet worden waren. Die Regierung hatte allen volljährigen BürgerInnen der USA das Recht eingeräumt, sich auf einem etwa 160 Acres (ca. 64 Hektar) großen, bis dahin unbesiedelten Stück Land niederzulassen und es selbstständig zu bewirtschaften. Der heute verwendete Begriff des „Homesteading“ definiert sich über größtmögliche Autonomie (bis hin zu Autarkie) im Sinne eines nachhaltigen Lebensstils. „Homesteading“ basiert auf der Idee der Selbstversorgung ohne Rückgriff auf das öffentliche Versorgungssystem, oft unter Berücksichtigung erneuerbarer Energieformen (bis hin zum Leben „off the grid“, das auch den Verzicht auf das öffentliche Stromversorgungsnetz oder die Unabhängigkeit vom Wasser- und Gasnetz impliziert) und Do-It-Yourself-Produktion (von Nahrungsmitteln, Kleidung, Mobiliar etc.). In Referenz zu Henry David Thoreaus bekanntem Werk Walden (1854) exemplifiziert Barsuglia mit seiner Installation, deren Ausstattung er fast gänzlich selbst gebaut hat, seiner eigenen Ideologie entsprechend die Haltung des „Homesteading“ als begehbaren Modellfall und Sinnbild für Unabhängigkeit und Eigenständigkeit. In Walden schildert Thoreau sein persönliches soziales Experiment und seine Reflektion über den Begriff des einfachen Lebens sowie die Möglichkeit autonomer Selbstversorgung, während er in einer von ihm selbst am Walden Pond, einem See in Massachusetts, errichteten „Cabin“, einer Blockhütte, über zwei Jahre, zwei Monate und zwei Tage in nur drei Kilometern Entfernung vom Haus seiner Familie lebte.
Beim Anblick der verlassenen Häuser in der Wüste mag der Versuch, sich aus der Konsumgesellschaft auch räumlich zurückzuziehen, auf das Scheitern von Aussteigerutopien verweisen. Anders als das autarke Leben in unbesiedelten Gebieten oder am Rande der Gesellschaft versteht sich „Homesteading“ aber als Lebenseinstellung, die in Hinblick auf nachhaltigen Konsum und ökologische Fragestellungen unabhängig vom Lebensmittelpunkt, also auch mitten in der Großstadt, eingenommen und vertreten werden kann. Mit der Auskoppelung aus dem Wirtschaftssystem wird das Bestreben formuliert, individuell einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, indem beispielsweise bestimmte Waren aus ökologisch zweifelhaften Produktionsketten nicht konsumiert werden (wie Fleisch aus nicht artgerechter Tierhaltung oder umweltschädliche Produkte) und bestimmte Lebensbereiche durch das Erlernen einfacher handwerklicher Fähigkeiten (wie beispielsweise Brot Backen, Gegenstände Reparieren und Kleidung Nähen oder einfaches Mobiliar aus Holz Bauen) autonom betrieben werden können.
Die erhöhte Achtsamkeit und genaue Beobachtung des eigenen (Konsum-) Verhaltens führt zur Hinterfragung des Anspruchs auf „Luxusgüter“ sowie der omnipräsenten Verfügbarkeit kurzlebiger Produkte mit deren (falschen) Versprechungen, die ihren Tribut an die Natur und unsere Lebenswelt fordern. In der Reflektion über den Begriff der Eigenverantwortung nimmt Barsuglia eine antikapitalistische Perspektive ein und stellt letztlich die Frage, wie man dieses Bewusstsein in den eigenen Lebensentwurf übertragen kann.
Cabinet, 2015
MAK – Museum of Applied Arts / Contemporary Art, Vienna / AT
Text: Marlies Wirth
For his solo exhibition at the MAK, the artist Alfredo Barsuglia has developed a complex architectural installation, featuring numerous thematic levels that overlap in many respects. In a way that is quite characteristic of his work, Barsuglia links commonplace elements with the unexpected, and probes the frontiers and transitions between the public and private realms.
The term “cabinet” denotes a type of small room that came about during the 18th century in response to the new demands on the private sphere that were perceived in the context of French Baroque architecture’s standard suite of representational rooms. Located in immediate proximity to the private bedchamber, the “cabinet” was viewed as an intimate place, one that official protocol typically defined as being off-limits to visitors. The cabinet has its roots in the “studiolo” of the Italian Renaissance. It served as a workroom and a place of retreat for a man, much like the “boudoir” did for a woman. The newfound desire for withdrawal and privacy was based on the ideas of humanist thinkers, who viewed the optimum realization of human abilities as being tantamount to an ideal world, and attainable via the marriage of education and knowledge to constructive behaviors. This place was thus put in the service of introspection and contemplation, allowing its occupant to devote himself – in keeping with the humanist idea – to books, scientific documents, and various (art) objects, without being disturbed.
Barsuglia’s Cabinet is an artificial setting, in the midst of the museum, that transforms the exhibition space into a sequence of domestic rooms. The artist, proceeding in the manner of a director, stages the spatial and mental penetration of the private sphere of a fictional inhabitant, or perhaps even of his own self, by leading the visitor through a narrative that is interwoven on numerous levels and retold again and again via individual associations. While the first rooms are for the most part sparsely furnished, the installation’s density increases gradually, and eventually culminates in the main room, where the traces of human presence and specific interests come together to create a possible impression of the imagined inhabitant. Every Tuesday evening, visitors (max. five simultaneously) can experience the installation in their own personal ways at an evening meal together with the artist in the “cabinet”.
With deliberate breaks in reality in the form of windows looking out onto the Mojave Desert, the artist unfurls an additional plotline that reflects on retreat, autonomy, and human beings’ personal self-determination in the context of an increasingly globalized world. In the Mojave Desert near Los Angeles, one can find to this day relics and ruins of dwellings (so-called “homesteads”) that had been put up beginning in the late 19th century under a series of US federal laws known as the Homestead Acts. The government gave every adult citizen of the USA the right to settle on ca. 160 acres (ca. 64 hectares) of previously uninhabited land and work it on his or her own. The related present-day term “homesteading” refers to the ideal of achieving the greatest possible degree of autonomy (or even autarchy) in the sense of a sustainable lifestyle.
Homesteading is based on the idea of self-provision without resorting to public infrastructure, and it often entails using renewable energy sources (or even going “off the grid”, i. e. doing without electricity, water, and/or natural gas from the outside) and do-it-yourself production (of food, clothing, furniture, etc.). In reference to Henry Thoreau’s well-known book Walden (1854), Barsuglia’s installation – in which the artist himself constructed nearly all the furnishings – exemplifies a homesteading attitude that conforms to his own ideology, as a walk-in model and a metaphor for independence and self-reliance. In Walden, Thoreau documented his own personal social experiment. This included his reflections on the idea of the “simple life”, and the feasibility of self-sufficiency while spending two years, two months, and two days just three kilometers away from his family’s house, in the cabin that he had built himself on Walden Pond in Massachusetts.
Seeing these abandoned houses in the Mojave Desert might move one to view the attempt to spatially withdraw from consumer society as a utopia that is doomed to failure. In contrast to autonomous living in unsettled areas or on the fringes of society, homesteading is about an attitude toward life that, in terms of sustainable consumption and environmental issues, can be adopted and promoted independent of one’s place of residence, even in the middle of a big city. Disengagement from the economic system expresses the intent to make an individual contribution to society, in ways like refraining from the consumption of certain goods from ecologically dubious production chains (such as industrially raised meat or environmentally destructive products), or becoming more autonomous in certain areas of life by learning crafts and simple hand working skills (such as baking bread, making small repairs, sewing clothing, and building simple wooden furniture).
Greater awareness and close observation of our own (consumption) behavior leads us to question the claims of “luxury goods” and the omnipresent availability of short-lived products and their (false) promises, products that take their toll on nature and on our environment. Barsuglia, in reflecting on the concept of individual responsibility, adopts an anti-capitalist perspective, and ultimately asks how one can transfer this consciousness to one’s own
way of living.
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Social Pool, 2014
Mojave-Wüste, in Kooperation mit dem MAK Center for Art and Architecture, West Hollywood, CA / USA
Text: Stephanie Weber
Alfredo Barsuglias Social Pool ist ein knapp dreieinhalb Meter langes und eineinhalb Meter breites Schwimmbecken in der südkalifornischen Wüste, das von jedem kostenfrei genutzt werden kann. Formal erinnert das geometrische, schmucklose, weiße Gebilde an eine minimalistische Skulptur. Aufgrund seiner abgeschiedenen Lage in einer dünn besiedelten Gegend – potentiellen Besuchern wird geraten, für die Autofahrt von Los Angeles mehrere Stunden einzuplanen und sich auf „einen langen Fußmarsch“ einzustellen – denkt man unwillkürlich an Land Art-Installationen im amerikanischen Westen: Walter De Marias The Lightning Field in New Mexico, Robert Smithsons berühmte Spiral Jetty oder Nancy Holts Sun Tunnels in Utah. Diese in den siebziger Jahren entstandenen Arbeiten von Künstlern aus New York, schon damals das unumstrittene Zentrum der Kunstszene, richteten sich nicht nur gegen die zunehmende Vermarktung und Institutionalisierung der Kunst (so zumindest der konzeptuelle Anspruch), sondern kritisierten darüber hinaus die weitreichende Zerstörung der natürlichen Umwelt. Barsuglias Werk beruft sich ausdrücklich auf diesen idealistischen Impuls – die Fahrt und der Marsch bieten ausreichend Gelegenheit, um über „soziale Werte, Träume und die Wirklichkeit“ nachzudenken – ohne dabei in Nostalgie abzugleiten.
Im Gegenteil: Social Pool setzt sich mit den grundlegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen der letzten vierzig Jahre auseinander. Barsuglias Arbeit ist das Produkt einer Wirtschaftsordnung, in der die Kommerzialisierung der Privatsphäre keine dystopische Vorstellung, sondern Alltag ist. In diesem Szenario sollen Kunst und deren Vermittlung sich zunehmend an der Serviceindustrie orientieren, unterhaltsam sein statt humanistisch edukativ. Als ein Beispiel dieser Entwicklung mag die Renaissance der Live-Performance und des Tanzes im Museum gelten, die weitestgehend mit ihrer Wandlung zu einem käuflichen Gut und einem Werkzeug der Entertainmentindustrie einherging.
Der Titel von Barsuglias Arbeit spielt bewusst mit der Möglichkeit, dass man es bei Social Pool mit einer Art ästhetisch aufgewertetem Yoga-Unterricht zu tun haben könnte, mit einem Wochenendausflug, der weniger im Zeichen von Aufklärung und produktiver Ratlosigkeit angesichts eines rätselhaften Objekts steht, sondern vor allem der Entspannung dienen soll: Eskapismus statt Kritik, Ablenkung statt Überschreitung. Social Pool orientiert sich an der zeitgenössischen Konsumgesellschaft und ist wie ein Versprechen angelegt: eine Erfahrung, die einen verändern wird; Entspannung, innere Ruhe und Erfüllung in der Abgeschiedenheit. Dabei bleibt man selbstverständlich stets vernetzt, denn sonst findet man das Werk schlichtweg nicht.
Als Skulptur funktioniert Social Pool buchstäblich wie ein Bad, in das man eintaucht, um zu entspannen und abzuschalten. Auf scharfsinnige Weise führt Barsuglia die Bedeutungshorizonte von Begriffen wie Kunst, Pool (dem Symbol für sorglosen Wohlstand schlechthin, insbesondere in der Wüste), Entspannung und Natur zusammen. Social Pool wird dadurch zu einer hochkomplexen Nachbildung der ideologischen Widersprüche einer Gesellschaft, die Abgeschiedenheit und Ruhe zu Luxusgütern für den gestressten und dauerkommunizierenden Großstadtbewohner erhoben hat. Dieser Wunsch nach Zurückgezogenheit und persönlichem Genuss spiegelt sich auch im Design des Pools und im Nutzungskonzept wider: Das MAK Center for Art and Architecture in West Hollywood händigt Besuchern die geheimen GPS-Koordinaten zusammen mit einem Schlüssel aus, mit dessen Hilfe sich die Poolabdeckung öffnen lässt. Die Abdeckung sorgt dafür, dass das Wasser nicht verdunstet, und kann geöffnet als zusätzliche Liegefläche genutzt werden – eine erstaunliche Ingenieurs- und Designleistung. Zudem verfügt die Installation über ein automatisiertes Filter- und Chlorsystem, das von einer Solarzelle auf der Abdeckung betrieben wird. Der Pool ist in zwei Hälften unterteilt: die eine rechteckig und mit Wasser befüllt, die andere quadratisch und trocken (sie dient als Umkleidebereich). Im Wasserbecken ist gerade genug Platz für ein bis zwei Personen. Sitzt man auf der im Poolbereich eingelassenen Bank, verhindert die hohe Trennwand die Sicht auf das Nebenan. In einer Art Überdeterminierung der Ideologie der Installation bestimmte Barsuglia, dass nur Einzelpersonen oder kleine Gruppen die Arbeit nutzen dürfen und der Schlüssel nach maximal 24 Stunden zurück gegeben werden muss.
Mit seiner grotesken, sich ihrer selbst-bewussten Glätte und der unausgesprochenen Trotzhaltung gegen die umgebende Natur vereint Social Pool Elemente des Lächerlichen und des Erhabenen. Dass das Kunstwerk nur unter Mühen überhaupt zu erreichen ist, macht die Absurdität des Ganzen noch offensichtlicher. Vergleichbar ist diese Mühe mit der Suche nach dem ultimativen Rückzugsort: keine Internetrecherche ist zu langwierig, keine Flug-, Zug-, Bus- oder Schiffsreise zu mühsam, um endlich mal wieder richtig auszuspannen und ein oder zwei Wochen lang ein Stelldichein mit dem wahren Selbst zu feiern. Allerdings stellt für Barsuglia ein derartiger Rückzug aus der Gesellschaft keine Lösung dar. Man sollte ihn beim Wort nehmen, wenn er die langwierige, ohne GPS-Koordinaten unmögliche Anreise zu einer Zeit des Nachdenkens über unseren konsumorientierten und nach Unterhaltung gierenden Lebensstils umdeutet. Die Rückzugsmöglichkeit, die Barsuglia anbietet, ist kurzweilig, sie ist ichbezogen, sie folgt dem Lustprinzip und sie ist alles andere als egalitär. Kurzum: Sie entspringt dem Leben im Spätkapitalismus und der Du-hast-es-dir-verdient-Attitüde unserer Konsumgesellschaft. Barsuglia überlässt es ganz den Besuchern, was sie aus seinem Vorschlag machen. Ob der angesehene Job und die Wohnung in bester Lage eine so libidinöse Hingabe an den Status Quo wirklich rechtfertigen, muss jeder selbst entscheiden. Barsuglia gibt Ratschläge, keine Befehle. Vielleicht gleicht der Besuch bei Social Pool wirklich bloß einem Tag im Spa oder das Reiseziel entpuppt sich als ein bemerkenswertes Kunstwerk, vielleicht sogar als eine das weitere Leben verändernde Erfahrung; oder, wer weiß, möglicherweise läutet Social Pool den sanften Beginn einer gesellschaftlichen Revolution ein.
www.social-pool.com
en.wikipedia.org/wiki/Social_Pool
Social Pool – Reactivation
Social Pool, 2014
Mojave Desert, in cooperation with the MAK Center for Art and Architecture, West Hollywood, CA / USA
Text: Stephanie Weber
Alfredo Barsuglia’s Social Pool is an eleven-by-five-feet wide pool in the Southern California desert, free for anybody to use. White, unadorned and geometric, it is formally reminiscent of a Minimalist sculpture. Located in a remote and scarcely populated geography – visitors are advised that several hours of driving from Los Angeles, plus a willingness “to walk a long distance to reach the pool from the nearest road,” are required to reach the destination – its location nods toward the phenomenon of large-scale Land Art installations in deserts around the American West, like Walter de Maria’s The Lightning Field in New Mexico, Robert Smithson’s famed Spiral Jetty, or Nancy Holt’s Sun Tunnels in Utah. Conceived in the 1970s by artists in and around New York, already then the epicenter of the contemporary art scene, these works bore a critical response to and refusal of both the increasing commodification and institutionalization of art and the rampant destruction of the ecological environment. While Barsuglia’s endeavor does share a palpable and explicit idealism as such – he suggests that the drive and walk to the pool should provide “time to reflect on social values, dreams and reality” – Social Pool is not a nostalgic affair.
On the contrary, the work embodies the massive socio-economic changes that have taken place in the last forty years. It thus understands itself as the product of an economy in which privacy and immateriality has been fully commodified. For many a consumer, art is expected to operate according to the principles of the service economy rather than following humanist ideals of intellectual or moral stimulus and education. It is more important today that museum visitors have a good time while visiting than that they be educated, touched, unsettled. Consequently, the revival of live performance and contemporary dance in the museum has largely been simultaneous with its subversion into a sellable asset and tool of entertainment, despite its (former) intrinsic potential to circumvent commercialization.
The title of Barsuglia’s work alone attests to his acute awareness that Social Pool might operate in ways more similar to a yoga lesson or vacation away from it all than as an enlightened dialog with an enigmatic object: escapism rather than critique, digression rather than transgression. In line with the demands of the larger consumer society, Social Pool was conceived of as an experience encompassing a potentially transformative journey, a promise of relaxation, the peace of remoteness, all while staying tuned in.
Social Pool is a sculpture that’s a bath, an artwork both literally immersive and forcibly relaxing. Astutely intertwining semantic constructs like contemporary art, the pool (the symbol of carefree wealth, even more so in the desert), relaxation and nature, Social Pool is a complex replica of the contradictions and ideology of contemporary society, where remoteness from others and quietude are luxuries for the ever-communicating city-dweller.
Barsuglia directly translates this desire for seclusion and individual enjoyment into the layout and concept of the project: GPS coordinates, otherwise kept secret, together with a key that opens the pool cover are provided to the willing visitor by the MAK Center for Art and Architecture in West Hollywood. In a feat of design and engineering, the pool cover also keeps the water from evaporating and serves, when opened, as an additional resting area. Bisected into two areas, one rectangular, one cubic, one filled with water, one dry (where visitors can change their clothes), the pool offers just enough space for one or two people to stand or sit on either of its sides (appropriately, a bench is built into each half). The walls of each pool segment are so high that the seated person cannot easily see whoever sits in the adjacent space, despite the fact that they are just next door. In a deliberate over-determination of the work’s suggested idiosyncrasies, Barsuglia stipulated that only one person or small party at a time can use the pool, and for no longer than 24 hours.
In its purposefully slick absurdity and inherent stance against nature – it even has an automatic, solar panel-operated filter and chlorine system – Social Pool combines elements of the sublime and the ridiculous. Its absurdity becomes even more tangible with the relative inconvenience of reaching it, similar to the pains one goes through to “get-away” – when no internet research is too time-consuming, no journey by plane, train, car, bus, or boat (or any combination of the above) is too arduous, to reach the location where one can relax and hopefully rediscover, at least for a week or two, one’s true self.
However, Barsuglia does not propose escape from society as a solution. He is genuine when phrasing the time spent driving to see Social Pool as an opportunity to reflect on our consumption and entertainment-driven lifestyle, and just as genuine when providing GPS coordinates to do so. The escape Barsuglia presents is temporary, it is futile and self-involved, it is pleasure-driven and it is not egalitarian – it is the embodiment of life in late capitalism and the treat yourself attitude of consumer society. Whether we follow Barsuglia’s advice and think about why we do what we do is as much up to us as the choice to question (and act upon) our libidinal investment in a prestigious job or precious apartment. His is a well-meaning advice, not an order. Maybe the trip to Social Pool will be just a trip to the spa, or a notable encounter with an artwork, possibly even a life-altering experience or, who knows, it could mark the modest beginning of a social revolution.
www.social-pool.com
en.wikipedia.org/wiki/Social_Pool
Social Pool – Reactivation
English version below
Land, 2014
Galerie Zimmermann Kratochwill, Graz / AT
Text: Roman Grabner
Alfredo Barsuglias Konzept für seine Ausstellung Land in der Galerie Zimmermann Kratochwill sieht eine Auseinandersetzung mit dem Raum in seinen vielfältigen Ausformungen vor: Innenräume, Außenräume, imaginäre Räume. Ein Raum wird gemeinhin durch Grenzen definiert und die jeweilige Grenzziehung erfolgt entlang einer geschlossenen Linie, die den Rand eines Systems bezeichnet. Die Etymologie des Wortes legt nahe, dass Raum auch ursprünglich als begrenzt verstanden wurde. Grimm leitet es von der entsprechenden Verbalform „räumen“ ab, im Sinne des Räumens eines Teils von Wildnis mit der Absicht, sich dort niederzulassen und einen Lagerplatz bzw. eine Wohnstatt zu errichten:[1] „und es gehen hieraus einestheils die bedeutung des freien platzes und der weite mit ihren ausläufern, anderntheils die des platzes im hause und der hauseintheilung hervor.“[2]
Alfredo Barsuglia arbeitet mit den unterschiedlichen Vorstellungen und Bestimmungen von Raum. Seit dem „Spatial Turn“ oder der so genannten „topologischen Wende“ wird Raum nicht mehr als kartesianische Kiste begriffen, die durch die konventionellen Parameter Länge mal Breite mal Höhe bestimmt ist, sondern als sozio-kulturelle Größe, als Möglichkeitsfeld. Das Ziel ist nicht, einfach nur einen Raum zu betreten und mehr oder weniger in ihm zu sein, sondern mit diesem Raum in Beziehung zu treten, mit ihm zu interagieren. Barsuglia begreift Raum dementsprechend als Netz von Ereignissen, die in assoziativen Beziehungen und Verhältnismäßigkeiten zueinander stehen, dessen Wahrnehmung aus einem Involviert-Sein in diese Ereignisse stattfindet. So funktioniert die Kunstbetrachtung und Erkenntnisproduktion bei ihm durch ein „Hineingehen“ in Erfahrungen.
Fiktiver Raum
Die erste Erfahrung, die man in der Galerie macht, wenn man in die Ausstellung hineingeht, ist die Wahrnehmung von drei angedeuteten, grob skizzierten Räumen, deren Größenverhältnisse merkwürdig verschoben scheinen. Weiße Bodenmarkierungen indizieren den Grundriss einer Wohnung, in deren zentralem Raum eine weiße, rechteckige Holzplatte auf dem Boden liegt, auf der ein Aquarium mit Wasserschnecken steht. Davor ist gleich einer Intarsie eine Zeichnung mit einer fiktiven Topografie in die Tafel eingelegt. An der Stirnseite dieses angedeuteten Raums finden sich vier Bilder, die in nahezu altmeisterlicher Manier gemalte Blumen zeigen. Die Höhe der Hängung der Werke und vor allem auch der über der Holzplatte abgehängten Neonröhre sowie die farbliche Unterteilung der Wände (das untere Drittel weiß, die oberen zwei Drittel dunkelgrün) lassen auf einen Raum im Miniaturformat schließen und damit auf einen Hybrid zwischen Realraum und Modell. Es handelt sich um einen imaginären Raum, der durch wenige Parameter evoziert wird und durch die absurden Größenverhältnisse seine konstitutiven Grenzen vergegenwärtigt. Die darin präsentierte Bildauswahl entspricht in ihrer Hängung dem Raumkonzept und verstärkt in ihrer inhaltlichen Ausrichtung dessen Intention. Bei den vier Blumendarstellungen auf Papier handelt es sich um Werke aus Barsuglias Serie der Assoziationsanomalien. Die an botanische Schautafeln erinnernden Naturstudien sind durch Begriffe erweitert, die jedoch nicht die wissenschaftliche Klassifikation repetieren, sondern scheinbar in keinem Bezug zur Darstellung stehen und durch die Juxtaposition ein paradoxes Wechselspiel mit dem Bild betreiben. Den einzelnen Blumen sind Begriffe wie „Etymologiekongress“ oder „Fernreisegutschein“ beigestellt, die einen Prozess des Nachdenkens über die Ursächlichkeit der Konstellation aktivieren und über den Versuch des Dechiffrierens einen Assoziationsraum zwischen Bild und Text aufspannen. Barsuglia lotet in seinen Assoziationsanomalien die Verbindung zwischen „imago“ und „imaginatio“ aus, zwischen der Struktur der Bilder und der Sphäre der Einbildungskraft. Und das Gleiche macht er im Großen auch mit der rudimentären Skizzierung der Räume: Ausgehend vom Bild eines Raums aktiviert er die Imagination. Raum zu denken, bedeutet nicht, sich eines bestimmten Raums zu besinnen, sondern sich der konstituierenden Parameter der Raumkonstruktion gewahr zu werden und neue Interaktionen zwischen Menschen und Objekten zu suchen.
Durch einen überdurchschnittlich schmalen, hohen Korridor gelangt man in den nächsten Raum. Die Enge der Passage ergibt sich durch die Höhe der Ausstellungsräume. Würde man jedoch das untere, weiß ausgemalte Wanddrittel als reale Raumhöhe der skizzierten Wohnung annehmen, wären die Proportionen des Durchgangs in Relation dazu wieder korrekt. Hätte Barsuglia die Öffnung bis auf diese indizierte Raumhöhe mit einer Wand geschlossen, hätten die Besucher auf allen Vieren in den zweiten Raum kriechen müssen, so wie er es 2012 beim Mikser Festival in Belgrad im Rahmen seiner Arbeit 24 North Moonlight Hill gemacht hat.
Fiktiver Ort
Der zweite Raum gleicht einem realen Wohnraum. Der Boden ist mit einem roten Teppich ausgelegt, ein Holztisch und Stühle stehen im Zimmer, die Regale sind mit Fotografien, Zeichnungen, Büchern, Gebrauchsgegenständen und Nippes gefüllt und an den Wänden hängen zahlreiche Bilder von Menschen, Tieren, Pflanzen, Naturfakten und Topografien in unterschiedlichen Techniken, Größen und Rahmungen. Man fühlt sich wie ein unerlaubter Eindringling in einen privaten Lebensraum, in dem noch gerade jemand anwesend gewesen sein muss: Das Licht ist eingeschaltet, der Ventilator läuft, das Radio spielt, die Kerze brennt und neben einer leeren Glasflasche liegt ein umgeworfener Stuhl auf dem Boden. Barsuglia evoziert durch die Inszenierung des Raums ein Moment der verstohlenen Beobachtung, eine Atmosphäre verbotener Störung und unberechtigten Eindringens.
Die deutsche Soziologin Martina Löw unterscheidet zwei Prozesse der Raumkonstituierung: einerseits das Setzen von symbolischen Markierungen, sprich „das Errichten, Bauen oder Positionieren“, was sie als „Spacing“ bezeichnet. Und andererseits eine spezifische Syntheseleistung, die sie als Wahrnehmungs-, Vorstellungs- und Erinnerungsprozesse definiert.[3] Konstellationen von Objekten, Bildern und Menschen würden dadurch als ein wesentliches Element der Raum-Konstruktion wahrgenommen, erinnert oder abstrahiert. Für Löw ist Raum eine „relationale (An)Ordnung von Lebewesen und sozialen Gütern“.[4] Es geht dabei nicht nur um eine strukturelle Dimension des Räumlichen, sondern um Formen des Handelns, einen Bezug zum Körper, die Potenzialität der Veränderung, die Bedeutung von Symbolik und die Wirkkraft der Atmosphäre.[5]
Barsuglia hat durch die Konstruktion des Zimmers in der Galerie und durch die präzise Einrichtung und Gestaltung dieses Raums durch bestimmte Bilder und Artefakte, wie z.B. die zoologischen Schaukästen von Schmetterlingen, Käfern und anderen Insekten am Tisch, einen spezifischen Wohnort mit charakteristischer Raumstimmung kreiert, die wir gemäß unseren Erinnerungen, Erfahrungen, und Erwartungen deuten. „Die Erzeugung eines Raums“, schreibt Michel de Certeau, „scheint immer durch eine Bewegung bedingt zu sein, die ihn mit einer Geschichte verbindet.“[6] Raum steht damit nicht nur in Verbindung mit einer Geschichte im Sinne einer Historie, sondern ebenso im Sinne einer Narration, die ihm nicht nur einen zeitlichen, sondern auch einen inhaltlichen Verlauf verleiht.[7]
In diesem Raum hängt an prominenter Stelle das Gemälde einer älteren Frau, halb fotorealistisch ausgeführt, halb durch Konturen angedeutet, die gerade dabei ist, Seifenblasen zu machen, die auf der Leinwand jedoch nicht abgebildet sind. Es sind die „Erinnerungen an schillernde Seifenblasen“ (Memories of Iridescent Bubbles, Acryl auf Leinen, 140 x 100 cm, 2012), die Barsuglia darstellt, mentale Bilder, die er durch die Geste und Mimik der Frau evoziert. Die kurze Lebensdauer verbunden mit einer höchst sensiblen Oberfläche, die bei der kleinsten Berührung platzt, haben Seifenblasen zu einer idealen Metapher für das Ephemere und Vergängliche werden lassen. Die Formel vom „Zerplatzen wie eine Seifenblase“, die wir auf Traum und Illusion beziehen, ist fester Bestandteil unserer Alltagssprache.
In dem formal streng komponierten Gemälde ist im untersten Sechstel ein fragmentarischer Textausschnitt zu lesen, der zusätzlich links und rechts beschnitten ist. Darin steht erläuternd zur Darstellung der Frau zu lesen: „she blew one big and many little iridescent bubbles into the room“.[8] Und genau das macht auch Alfredo Barsuglia: Er hat eine große und viele kleine Seifenblasen in den Raum geblasen. Jedes, Bild, jedes Objekt, jedes Artefakt in diesem Raumensemble steht für eine Idee, ist Träger einer Hoffnung, Element einer Erzählung, ist eine jener ephemeren Blasen. Und weiter schreibt er, „all the bubbles burst, except one“ (und diese fällt der Frau genau auf ihren nackten Fuß, mit dem sie auf das Buch Walden; or, Life in the Woods getreten ist – das ist die große Seifenblase, die Utopie, die sich in dieser Installation manifestiert.
Das Buch Walden des amerikanischen Schriftstellers und Philosophen Henry David Thoreau aus dem Jahr 1854 ist ein Klassiker alternativer Lebensentwürfe. Thoreau hat sich über zwei Jahre lang von der industrialisierten Massengesellschaft zurückgezogen, um in einer Blockhütte am Walden-Pond in Massachusetts zu leben. Es war sein Selbstversuch, fern zivilisatorischer Errungenschaften ein alternatives und in Einklang mit der Natur stehendes Leben zu führen. „Ich wollte tief leben, alles Mark des Lebens aussaugen, so hart und spartanisch leben, dass alles, was nicht Leben war, in die Flucht geschlagen wurde [...]“.[9] Das Buch verhandelt dementsprechend Fragen des Rückzugs, der Autonomie und der persönlichen Freiheit des Menschen angesichts einer sich zunehmend globalisierenden Welt. Die ungebrochene Popularität des Werks beruht nicht nur auf der erstaunlich frühen Fortschritts-Skepsis und einem unbedingten Freiheitsstreben irgendwo zwischen (politischer) Herrschaftsablehnung und Individualanarchismus, sondern im Wesentlichen auf dem Streben nach einem einfachen, selbstbestimmten Leben.
Erweiternd zum Bild Memories of Iridescent Bubbles hat Barsuglia S/W-Fotografien von verfallenen und in sich zusammengestürzten Häusern im Zimmer positioniert, die auf das Homesteading in der Mojave-Wüste verweisen. Das Homesteading bezieht sich auf eine Reihe von Gesetzen der amerikanischen Regierung – den seit 1862 erlassenen „Homestead Acts“ –, die jedem Bürger der USA Land zur selbständigen Bewirtschaftung zusicherten. Es ist das amerikanische Sinnbild für Unabhängigkeit und Eigenständigkeit und dem Traum, dass jeder ein Haus mit einem Stück Land haben kann, wenn er nur bereit ist, hart dafür zu arbeiten. Ging es anfangs darum, die Siedlungsbewegung zu forcieren und die großen unwirtlichen Landflächen im Westen urbar zu machen, wurde der Begriff in den 1960er und 1970er Jahren von Menschen aufgegriffen, die, inspiriert von Henry David Thoreau und beseelt von der Idee der Selbstversorgung mit Tendenz zur Autarkie, aus dem gesellschaftlichen Versorgungssystem aussteigen wollten. Unter der Berücksichtigung erneuerbarer Energien, biologischer Landwirtschaft und prinzipiell unbedingter Nachhaltigkeit, haben sich diese Tendenzen wellenartig bis in die Gegenwart fortgesetzt. Barsuglia rekurriert in vielen kleinen Details auf den utopischen Impetus dieser Aussteigervorstellungen, verweist auf deren historische Versuche der Realisierung und evoziert durch die Abwesenheit des Menschen und den archivarischen Charakter des Raums eine fast postapokalyptische Atmosphäre.
Fiktives Land
Der utopische Charakter, der im Raum wie ein Wasserzeichen immer wieder durchscheint, zeigt sich exemplarisch an Barsuglias Serie fiktiver Topografien. Dabei handelt es sich um Aceton-Frottagen, um Fotografien von verfallenen Mauern, die mit Hilfe des Lösungsmittels spiegelverkehrt auf Papier übertragen werden. Scheinbar vom Zufall formuliert, leben sie von der Spannung zwischen informeller Struktur einer mikroskopischen Aufnahme und formellem Charakter einer Luftbildaufnahme. Er rekurriert dabei auf Leonardo da Vincis Theorie der „macchia“, des fantasiegeleiteten Flecks. Da Vinci hat gemeint, „wenn du in allerlei Gemäuer hineinschaust, das mit vielfachen Flecken beschmutzt ist, [...] so wirst du dort Ähnlichkeiten mit diversen Landschaften finden, die mit Bergen geschmückt sind, Flüsse, Felsen, Bäume – Ebenen, große Täler und Hügel in wechselvoller Art;“[10] Die Topografien, die da Vinci in Mauerflecken ausmacht, findet Barsuglia im beschädigten Außenputz von Hausmauern. Der Fleck ist der Archetyp der offenen Struktur; er enthält in seiner amorphen Erscheinung potentiell alle Bedeutungen und Formen. Das imaginäre Potenzial, das ihm inhärent ist, findet sich auch im visionären Blick auf karges, wüstes Land, denn es kündet vom Transformationsvermögen des menschlichen Geistes. Die imaginären Topografien, die der Künstler aus Acteon-Frottagen entwickelt, sind so fiktiv wie Vorstellungen von einem gelobten Land und zugleich so irreal und absurd wie Besitzansprüche auf Land überhaupt.
Lenkt man seinen Blick von den Papierarbeiten durch die eingebaute Verandatür, so sieht man „draußen“ einen jungen Mann, wie er inmitten einer kargen Einöde ein Loch aushebt. Der dritte und letzte Raum der Schau gibt endlich die Sicht auf das Land frei, das für diese Ausstellung titelgebend war. Die einzelnen Elemente in den Räumen sind als Koordinaten der Orientierung zu verstehen. Was sich in den Bildern und Artefakten verdichtet bzw. verkörpert ist eine fiktive Biografie, die Lebensgeschichte eines Menschen, den man in dem jungen Mann auszumachen glaubt, der das Land bearbeitet. Kennt man Alfredo Barsuglia, so weiß man, dass er selbst es ist, der dieses Loch aushebt, und dass diese Video-Arbeit im Zusammenhang mit seinem Projekt Social Pool steht. Kennt man ihn nicht, wähnt man sich in der Sicherheit, ein Bild zu der fiktiven Biografie erhalten zu haben.
Reale Inszenierung
Zwischen dem „Wohnraum“ und dem grabenden jungen Mann findet sich eine Schwelle, über die man gehen muss, um „nach draußen“ zu gelangen. Es ist die viel beschworene „Schwellenangst“, die man überwinden muss, um zur Erkenntnis des gesamten Raumensembles zu gelangen, denn erst der durch den Durchgang ermöglichte Blick zurück offenbart dessen Konstruktion. Denis Diderot hat den Begriff der „Vierten Wand“ eingeführt, um die Schnittstelle zwischen dem Spiel auf der Bühne und der Realität des Publikums zu bezeichnen. Für ihn symbolisiert die Rampe der Bühne diese Vierte Wand, als wäre dort eine Mauer aufgezogen, und dementsprechend plädierte er für ein Schauspiel, das nicht mehr auf den Zuschauer ausgerichtet ist. Die Figuren auf der Theaterbühne oder auf einem Gemälde sollten so agieren und dargestellt seien, als wüssten sie nicht, dass sie von einem Zuschauer betrachtet werden. Denn, wie Diderot an anderer Stelle geschrieben hat, man ist erst ganz Mensch, wenn man nicht mehr repräsentieren muss.[11]
Barsuglia hat seine Räume so konstruiert und inszeniert, als würde der Betrachter unversehens in eine andere Lebenswelt eintreten. Er hat die konventionellen Raumgrenzen verschoben und eine Abfolge von Raumkonstrukten entworfen, die eine performative Qualität aufweisen. Der Begriff des Performativen leitet sich von der lateinischen Wurzel „per formare“ ab, was so viel wie „ringsum gestalten“ bedeutet. Der Betrachter vervollständigt durch seine Anwesenheit und seine Syntheseleistung die Konstituierung dieser Räume und erst das Überschreiten der Schwelle offenbart die Grenze zwischen Fiktion und Realität in diesem vielgestaltigen Ensemble von Räumen und Raumvorstellungen. „Die Schwelle ist schwer zu verorten“, schreibt der deutsche Philosoph Bernhard Waldenfels und konzediert ihr einen Charakter, der in dieser Form auch für die Räume von Alfredo Barsuglia gilt, wenn er fortfährt: „im strengen Sinne ist sie gar nicht zu verorten. Sie bildet einen Ort des Übergangs, einen Niemandsort, an dem man zögert, verweilt, sich vorwagt, den man hinter sich lasst, aber nie ganz. Sie gehört zum Alltag und ist doch mehr als alltäglich. Im Überschreiten der Schwelle befindet man sich nicht mehr hier und noch nicht dort, Ort und Zeit berühren sich.“[12]
Land, 2014
Galerie Zimmermann Kratochwill, Graz / AT
Text: Roman Grabner
Alfredo Barsuglia’s concept for his exhibition Land in the Galerie Zimmermann Kratochwill involves an investigation of space in its diverse forms: interior spaces, outdoor spaces, imaginary spaces. A space is usually defined by boundaries, and the respective demarking of a boundary ensues along a closed line designating the edge of a system. The etymology of the German word for space, “Raum”, suggests that it was understood originally as being bounded by something. The Brothers Grimm dictionary derives it from the matching verb of “räumen”, i.e. “clearing”, foremost in the sense of clearing a section of wilderness for the purpose of settling and establishing a camp or abode for habitation[13]: “and emerging from this is, on the one hand, the meaning of an open space and the expanse with its offshoots, on the other, that of the space inside the dwelling and how the dwelling is divided.”[14]
Alfredo Barsuglia works with different ideas and designations of space. Since the “spatial turn” or the so-called “topological turn”, space is no longer perceived as a Cartesian box defined by the conventional parameters of length, width, and height, but rather as a socio-cultural variable, as a field of possibility. The goal is not to just simply enter a space and more or less be in it, but to enter into a relationship with this space and interact with it. Barsuglia accordingly conceives of space as a network of events which are correlated in associative relationships and proportionalities, a network that is therefore to be perceived through being involved in these events. Aesthetically appreciating and understanding this work can therefore only function by “going inside” experiences.
Fictitious Space
The first experience opening up in the gallery when “going inside” is perceptual: we perceive three spaces, implied by rough delineation, their proportions however appearing strangely askew. White floor markings indicate the layout of an apartment: a white, rectangular wooden panel is positioned on the floor of its main space, an aquarium with water snails placed on top of it, and inlaid in the panel like intarsia is a drawing with a fictitious topography. Four paintings are to be seen on the front side of this implied distinctive space, showing flowers in a style reminiscent of the Old Masters. The height at which the works are hung and, above all, that of the strip light suspended over the wooden panel, in tandem with the color of the walls (the lower third white, the upper two-thirds dark green), lead to the conclusion that this is a space condensed into a miniature format, and thus is a hybrid between a real space and a model. It is an imaginary space, evoked through just a few parameters, its constitutive boundaries capable of being visualized through the absurd proportions. In their hanging, the selection of paintings corresponds to this concept of space, while their subject matter further reinforces the intention.
The four depictions of flowers on paper are works from Barsuglia’s series Association-Anomalies. Reminiscent of botanical wall charts, these nature studies are augmented by terms which do not repeat the expected scientific classifications, but seemingly have no immediately discernible relationship to the representations and engage, by virtue of the juxtaposition, in a paradoxical interaction with the image. The individual flowers are assigned terms like “Etymologiekongress” (“etymology congress”) or “Fernreisegutschein” (“long-distance trip voucher”), triggering a process of reflection on the causes behind this constellation and, through our attempt to decipher, generating an associative space between image and text. In his Association-Anomalies, Barsuglia explores the connection between “imago” and “imaginatio”, between the structure of images and the sphere of the imagination. He undertakes the same investigation on a larger scale with the rudimentary delineating of spaces: starting from the image of a space, he activates the imagination. To think about space does not mean reflecting on a specific space, but rather becoming aware of the constituting parameters of the spatial construction, and searching for new interactions between humans and objects.
The exhibition visitor reaches the next room of the show by passing through a high-ceiling corridor that is far narrower than normal. The narrowness of the passageway ensues from the height of the exhibition rooms. If one were to take the white lower third of the wall as the real ceiling height of the sketched apartment, the proportions would however be correct. If Barsuglia had closed off the opening with a wall to this indicated ceiling height, then visitors would have had to crawl along on all fours to reach the second space, which is precisely what the artist demanded of them in 2012 at the Mikser Festival in Belgrade as part of his work 24 North Moonlight Hill.
Fictitious Place
The second room resembles a real living room. The floor is covered with a red carpet, a wooden table and chairs are positioned in the room, the shelves are filled with photographs, drawings, books, everyday objects, and trinkets, while hanging on the walls are numerous pictures of people, animals, plants, nature studies, and topographies in a variety of techniques, sizes, and frames. One feels like an unwanted intruder entering into a private living space, where only minutes before someone had been present: the light is still on, the fan is running, the radio is playing, a candle is burning, and, next to an empty glass bottle, an overthrown chair lies on the floor. With this staging of space Barsuglia evokes a moment of observation through a stolen glance, an atmosphere of forbidden disturbance, and unauthorized intrusion.
The German sociologist Martina Löw distinguishes between two processes in constituting space: on the one hand, positing symbolic markings, i.e. “erecting, constructing or positioning”, which she characterizes as “spacing”; on the other hand, a specific act of synthesis, defined as the sub-processes of perceiving, imagining, and remembering.[15] Thus, constellations between objects, images, and people are perceived, remembered, or abstracted as an essential element in spatial construction. For Löw, space is a “relational arrangement of living beings and social objects.”[16] This is not just referring to a structural dimension of the spatial, but indeed encompasses the form of an action, the relationship to the body, the potentiality of change, the meaning of symbols, and the impact of atmospheres.[17]
By constructing this room in the gallery, and thanks to the precise furnishing and designing of this space with appropriate pictures and artifacts, for example zoological showcases of butterflies, bugs, and other insects on a table, Barsuglia created a specific living place with a characteristic room atmosphere, which we interpret in keeping with our personal memories, experiences, and expectations. As Michel de Certeau has written, it seems that the production of space is always conditioned by a movement that connects it to a story.[18] Space is thus not only connected with a past story in the sense of a history, but also in the sense of a narration that lends this space both a temporal as well as a specific content-related progression.[19]
Hanging at a prominent place in this room is the painting of an elderly woman, half photorealistic in style, vaguely indicated through contours, who is blowing bubbles which are not depicted on the canvas. It is in fact the Memories of Iridescent Bubbles (acrylic on canvas, 140 x100cm, 2012) Barsuglia is representing, mental images he evokes through the gestures and facial expressions of the woman. Their brief lifetime in conjunction with a highly sensitive surface, bursting upon the slightest of touches, has seen bubbles serve as an ideal metaphor for the ephemeral and transitory. The saying “burst like a bubble”, which we relate to dreams and illusions, is firmly anchored in our everyday language.
A fragmentary excerpt of a text is positioned in the lower one-sixth of the strictly composed painting. Additionally, clipped on its left and right edges, it gives an explanation of the painting: “She blew one big and many little iridescent bubbles into the room.” This is exactly what Alfredo Barsuglia does: he blows one large and many little bubbles into the space. Every picture, every object, every artifact in this ensemble stands for an idea, is a bearer of hope, an element of a narrative, is one of those ephemeral bubbles. And the explanation continues, “all the bubbles burst, except one”, and this one bubble falls exactly on the woman’s bare foot, with which she has stepped on the book Walden; or, Life in the Woods – this is the big bubble, the utopia that manifests itself in this installation.
Written by the American author and philosopher Henry David Thoreau and published in 1854, Walden is a classical reference point for alternative and experimental ways of life. For just over two years, Thoreau dropped out from industrialized mass society to live in a small cabin on the shores of Walden Pond in Massachusetts. It was a self-experiment, an attempt to lead a simple life, stripped of all the luxuries of civilized society, in harmony with nature: “I wanted to live deep and suck out all the marrow of life, to live so sturdily and Spartan-like as to put to rout all that was not life […].”[20] The book thus discusses questions concerning the retreat into solitude, self-reliance, and personal freedom in the face of an increasingly globalized world. The work’s enduring popularity stems not only from its astonishingly early skepticism towards progress, and the allied unconditional quest for a liberty to be found somewhere between (politically) rejecting domination and fostering individualist anarchism – but also, if indeed not fundamentally, from its quest for a simple, self-determined life.
Augmenting the painting Memories of Iridescent Bubbles, Barsuglia has positioned in the room black-and-white photographs of dilapidated and collapsed houses, references to the homesteading in the Mojave Desert. Homesteading goes back to a series of laws implemented by the US government (the Homestead Acts passed since 1862) which enabled every citizen in the United States to file a claim for farming land. It is the American symbol for independence and self-reliance, the practical attempt to realize the dream that every person could have a house with a piece of land if she/he is prepared to work hard. If initially the legislation was launched to accelerate settlement and cultivate the large expanses of inhospitable land in the West, in the 1960s and 1970s the idea was picked up by those who, inspired by Henry David Thoreau and driven by the vision of self-subsistence with a tendency towards total self-sufficiency, sought to drop out of consumerist and welfare society. Given the rise of renewable energies, organic agriculture, and the goal of unconditional sustainability, this tendency diversified and continues, wave-like, down to the present day. In several tiny details, Barsuglia refers to the utopian impetus of these dropout ideals, points to the historical attempts to realize such dreams, and evokes through the absence of people and the archive-like character of the room an almost post-apocalyptic atmosphere.
Fictitious Land
The utopian character, shimmering through again and again like a watermark, reveals itself in exemplary fashion in Barsuglia’s series of fictitious topographies. These are acetone frottages, photographs of ruined walls, which are transposed, mirror-inverted, to paper with the help of the solvent. Seemingly formulated by chance, they live from the tension between the informal structure of a microscopic shot and the formal character of an aerial view. Here Barsuglia is referring back to Leonardo da Vinci’s theory of “macchia”, the imaginatively read blotch or stain: “Look at walls splashed with a number of stains […] you can see resemblances to a number of landscapes, adorned with mountains, rivers, rocks, trees, great plains, valleys and hills, in various ways.”[21] Barsuglia finds the topographies da Vinci discerned in stained walls in the damaged exterior rendering of house walls. The stain is the archetypical open structure; in its amorphous appearance it contains potentially all meanings and forms. The imaginative potential inherent to it is also to be found in the visionary gaze into barren, desolate land, for it bears witness to the transformative capacity of the human mind. The imaginary topographies the artist develops out of acetone frottages are as fictitious as imagining a promised land, and at the same time as unrealistic and absurd as claiming possession of land at all.
Shifting attention from the works on paper to the view out of an inbuilt French window, one sees a young man “outside”, digging a hole in the middle of a barren wasteland. The third and final room of the show finally gives a clear view of the Land that gives the exhibition its title. The individual elements in the rooms can now be understood as coordinates for gaining orientation. What is concentrated or embodied in the images and artefacts is a fictitious biography, the story of a person who one now believes to be observing as the young man working the land. If one knows or is familiar with Alfredo Barsuglia, then one realizes that he is the young man digging the hole, and that this video work is related to his project Social Pool. By not knowing him, one feels safe in the belief of having finally obtained the key image to the fictitious biography.
Real Staging
Located between the “living room” and the young man digging is a threshold one has to cross to get “outside”. It is the much-invoked “fear of being on the threshold to the unknown”, a fear that has to be overcome if one is to gain an overarching understanding of the ensemble of rooms, for it is first the view, opened up by passing through, that reveals the overall construction. Denis Diderot introduced the concept of the “fourth wall” to characterize the “point of interface” between the drama on the stage and the reality of the audience.[22] For Diderot, the apron of the stage symbolized this fourth wall, as if a wall were erected there; accordingly, he advocated a drama no longer addressing an audience. The protagonists on the theatrical stage or in a painting are to act and be depicted as if they were unaware that spectators were watching them. As Diderot wrote elsewhere, one is first a whole person when no longer forced to represent.
Barsuglia has constructed and staged his rooms in such a way that it is as if the viewer has inadvertently entered a different world and gained a glimpse of another life. He has shifted the conventional boundaries of space and created a series of spatial constructs possessing a performative quality. The concept of the performative is derived from the Latin root “per formare”, to “furnish around something”. Through her/his presence and act of synthesizing, the viewer completes the constituting of these spaces, and it is first the crossing of the threshold that reveals the boundary between fiction and reality in this multifaceted ensemble of spaces and conceptions of the spatial. “The threshold is difficult to locate,” writes the German philosopher Bernhard Waldenfels and concedes to it a character that in this form also pertains to the spaces created by Alfredo Barsuglia when he continues: “strictly speaking it cannot be located at all. It forms a place of transition, a non-place where one hesitates, dwells, dares to advance, that one leaves behind, but never fully. It belongs to the everyday and is yet more than mundane. In crossing the threshold one finds oneself no longer here and not yet there, place and time converge.”[23]
English version below
Finds Research Laboratory, 2014
Zsófi Faur Galéria, Budapest / HU
Kaltes Neonlicht scheint auf kleine Acrylglasboxen mit Fundstücken: vorwiegend Insekten, aber auch Pflanzen und Mineralien, die der Künstler im Laufe der Jahre bei Spaziergängen aufgelesen hat. Keinem der kleinen Lebewesen ist Alfredo Barsuglia zu Leibe gerückt, sie wurden in bereits leblosem Zustand eingesammelt. Sein Interesse an der Natur konzentriert sich unter anderem auf die faszinierende Diversität ihrer Details, die sich in der Installation Finds Research Laboratory widerspiegelt. Die Präsentation der Pretiosen auf einem schlichten Tisch ermöglicht es, die Schaustücke näher zu betrachten. Während die Funde in einer großen Dichte, Reihe um Reihe, angeordnet sind, werden an den Wänden auf Bildern und Projektionen Pflanzen und Tiere solitär unter die Lupe genommen. Die Laborsituation wird in der Wiederholung der Darstellung eines Sujets – etwa der Studie eines Astes – auch auf die bildliche Ebene übertragen.
Finds Research Laboratory, 2014
Zsófi Faur Galéria, Budapest / HU
Cold neon light shines on tiny acrylic glass boxes filled with finds: mainly insects, but also plants and minerals the artist has picked up over the years while taking walks. None of the small creatures have ever been harmed by Alfredo Barsuglia, for they were already in a lifeless state when collected. His interest in nature is focused mainly on the fascinating diversity of its details, reflected in the installation Finds Research Laboratory. The presentation of the precious specimens on an unpretentious table enables the viewer to take a closer look at the finds on display. Whereas these finds are densely arranged, row upon row up on the walls, plants and animals are solitarily “put under the microscope” through images and projections. In the repetition of a representation of a subject, for instance the study of a branch, the laboratory situation is also transferred to the pictographical level.
English version below
Hotel Publik, 2013-14
Vorplatz Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck / AT
Text: Lucas Gehrmann
Seit Mitte November 2013 steht ein kleines Haus vor dem Tiroler Landesmuseum in Innsbruck – erdacht und entworfen von Alfredo Barsuglia, ausgeführt von der in Wien ansässigen WUK Werkstatt für Holz und Design, errichtet in Kooperation mit öffentlichen Einrichtungen aus Tirol. Hotel Publik steht auf einer seiner Seitenwände geschrieben, und man darf sich wundern, denn für ein Hotel nimmt es sich mit seinen knapp zwei Metern Höhe bis zum Giebel und zweieinhalb Metern gesamter Länge äußerst sparsam aus. Auf der Liste der kleinsten Hotels der Welt würde es immerhin ex aequo stehen mit dem dort erstplatzierten Kofftel im sächsischen Lunzenau – doch geht es hier nicht um Rekorde. Vor allem geht es auch nicht um „Rentabilität“ im üblichen Sinn, denn wer im Hotel Publik eincheckt, kann dies ganz ohne Scheckkarte (oder Bargeld) tun.
Dieses Hotel steht jedem und jeder offen, wenn es nicht gerade belegt ist, zumindest für eine Nacht und jedenfalls gratis. Frühstück gibt’s nicht, auch keine Dusche, aber ein Single-Bed, eine Heizung, Licht und ein (knapp bestücktes) Bücherregal. Auch wird das Haus täglich gereinigt und sein Bett frisch bezogen. Wer hier ab- bzw. von woanders kommend aussteigt, muss auch keinen amtlichen Lichtbildausweis vorweisen, denn es gibt weder eine Rezeption noch sonst eine „Überwachung“; nur ganz wenige Spielregeln, die außen geschrieben stehen: check in (ab) 12 Uhr, check out um 10 Uhr. Und den Schlüssel dann wieder dort hinhängen, von wo er geholt wurde, die Zimmernummer ist leicht zu merken.
Wem es gerade in den eigenen vier Wänden zu eng geworden ist, wer gerade kein Dach über dem Kopf hat oder findet, wer einfach einmal wieder „auswärts“ schlafen möchte wie vielleicht in der Kindheit im Zelt oder Gartenhäuschen außerhalb der elterlichen Wohnung, wer einmal ausprobieren möchte, wie es sich anfühlt, mitten im öffentlichen Verkehrsbetrieb der Stadt einzuschlafen, aufzuwachen und aufzustehen, wer also einmal ein- oder aussteigen möchte oder muss …, findet im Hotel Publik eine offene Pforte. Zumindest während der besonders kalten Jahreszeit, denn Mitte Februar 2014 wird dieses Hotel wieder verschwinden, zumindest von hier.
Hotel Publik ist eine temporäre künstlerische Invention im öffentlichen Raum. Warum „künstlerisch“? Ist es nicht die Aufgabe der staatlichen oder regionalen sozialen Einrichtungen, sich um das Gemeinwohl der Menschen zu kümmern? „Eine der Funktionen von Kunst war immer die Veränderung der Lebensverhältnisse“, heißt es in einer Deklaration der Künstlergruppe WochenKlausur, die seit 1993 Vorschläge zur Verringerung gesellschaftspolitischer Defizite erarbeitet und solche auch umzusetzen versucht. Alfredo Barsuglia ist nicht Mitglied der WochenKlausur, doch er macht sich als Künstler ähnliche Gedanken zur gesellschaftspolitischen Situation unserer Zeit und unserer Zivilisation. Diese ist geprägt und maßgeblich bestimmt durch ökonomisches, auf Wachstum und Sicherheit ausgerichtetes Denken und Handeln. Erfolg und Wohlstand sind aber Ziele, die allzu oft nur auf Kosten anderer menschlicher Bedürfnisse erreicht werden können – der vor etwa 200 Jahren durch das Bürgertum errungene Begriff der „Freiheit und Unabhängigkeit“ fasst diese Bedürfnisse zusammen. Wie aber steht es heute um unsere „Freiheit“? Reglementierungen, Kontrolle, Überwachung, Aus- und Abgrenzung, Eingriffe in das Privatleben, Auswertung persönlicher Daten und Lebensgewohnheiten durch unbekannte Dritte, Instrumentalisierung von Ängsten … stehen an der Tagesordnung, kaum dass wir dies bewusst bemerken. Vieles davon geschieht unter dem Vorwand, „Sicherheit“ zu gewähren. Zu unserer Sicherheit bedürfen wir aber vor allem der Selbstsicherheit, das heißt eines durch eigene Erfahrung, durch Reflexions- und Kritikfähigkeit gewonnenen Bewusstseins unserer persönlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse. „Learning by Doing“ (Lernen durch Handeln), eine schon vom alten Aristoteles propagierte pädagogische Methode, welche die Bürger zum sozialen und politischen Handeln befähigen soll, ist nach wie vor dem blinden Gehorsam oder dem Nachahmen vorgegebener Rezepte vorzuziehen.
Etwa in diesem Sinne kann auch das Hotel Publik als das Angebot einer kleinen, alternativen Schule der Selbsterfahrung betrachtet und in Anspruch genommen werden. Es ist daher nicht „nur“ ein Hilfsprojekt für sozial benachteiligte Menschen, sondern auch ein kleines, aber sehr feines Projekt zur praktischen Reflektierbarkeit unseres sozialen und damit menschlichen Bewusstseins.
Hotel Publik, 2013-14
Forecourt Tyrol State Museum, Innsbruck / AT
Text: Lucas Gehrmann
Since the middle of November 2013 a small house has stood in front of the Tyrol State Museum in Innsbruck – conceived and designed by Alfredo Barsuglia, realized by WUK Werkstatt für Holz und Design (Workshop for Wood and Design) in Vienna and built in cooperation with public institutions from the Tyrol. “Hotel Publik” is written on one of its sidewalls and this may take one by surprise. After all the dimensions are extremely sparing for a hotel, measuring just two meters in height up to the gable and two-and-a-half meters in length. On the list of the “world’s smallest hotel” it would come a tie with the first-placed Kofftel in the town of Lunzenau in Saxony – but this hotel is not about breaking records. And above all, it is not about “profitability” in the usual sense, for whoever checks in to the Hotel Publik can do so without a check card (or cash).
This hotel is open to everyone as long as it is not full, at least for one night and at any rate for free. There’s no breakfast, nor is there a shower, but a single bed, a radiator, a light, and a (scantily stocked) bookshelf. The house is cleaned daily and the sheets changed. Whoever puts up or, coming from somewhere else, drops in here, has no need to present an official photo ID, for there is neither a reception desk nor any other kind of “control”. Just a few rules need to be observed, and they’re written on the outside: check in (from) 12 p.m., check out by 10 a.m. And put the key back from where you got it, the room number is easy to remember.
Anyone feeling a bit claustrophobic in their own four walls, anyone who hasn’t a roof over their head at the moment or can’t find one, whoever simply wants to sleep “out” again like it was once allowed back as a kid, in a tent or the garden shed while your parents stayed inside, whoever simply wants to get a feel for what it is like to go to sleep, wake up, and get up right in the middle of public traffic, whoever simply wants to, or has to, hop in or drop out … they will find an open door in the Hotel Publik. At least for the very coldest season. In mid-February 2014 this hotel will disappear again, at least from here.
Hotel Publik is a temporary artistic invention in public space. Why “artistic”? Is it not the duty of state or regional social institutions to look after the welfare of the people? “It was always one of the functions of art,” states the artist group WochenKlausur in a declaration, “to change the conditions under which people live”. Since 1993 this group has formulated proposals for redressing the deficiencies of social politics and attempted to implement them. While Alfredo Barsuglia is not a member of WochenKlausur, he is an artist who thinks similarly about the socio-political situation of our age and civilization. A situation shaped and defined by economic-driven thinking and action geared exclusively towards growth and security. Success and prosperity are goals which all too often can only be achieved at the cost of neglecting other human needs however – the “freedom and independence” gained by the bourgeoisie around 200 years ago encapsulates these needs. But what is the state of our “freedom” today? Regimentation, control, surveillance, inclusion and exclusion, interventions in our private lives, analysis of personal data and lifestyle habits by anonymous third parties, exploitation of fears … these are the order of the day, but we hardly consciously notice. So much of it is done under the pretense of ensuring “security”. For our own security we need above all else self-assurance, an awareness of our personal abilities and needs gained through experience, and our reflective and critical faculties. “Learning by Doing”, a pedagogical method already propagated so long ago by Aristotle, a method that should empower citizens to act socially and politically, is still preferable to blind obedience or the thoughtless imitation of prescribed formulas.
It is in this sense that the Hotel Publik can also be considered and used: offering us the opportunity to take part in a small, alternative school of self-experience. It is therefore not “only” a project helping the socially disadvantaged, but also a small but exquisite project on the practical reflective capability of our social, and thereby our human, consciousness.
English version below
Its very Artificiality Becomes an Attraction, 2011
Künstlerhaus Passagegalerie, Wien / AT
Text: Theresia Hauenfels
Un poète doit laisser des traces de son passage, non des preuves. Seules les traces font rêver. (Ein Dichter soll Spuren seines Aufenthalts hinterlassen, keine Beweise. Nur Spuren bewirken, dass man zu träumen beginnt.)
– René Char, La Parole en archipel
Nur durch eine Glaswand geschützt, setzt sich der Raum der Passagegalerie gerade im Winter vielerlei widriger Umstände aus: Kaum jemand hat Zeit stehen zu bleiben. Es ist kalt, alle haben es eilig, zur U-Bahn zu kommen, den nächsten Termin zu erreichen, nur manche, die sich verabredet haben, warten. Mit freundlicher Hartnäckigkeit fordert Alfredo Barsuglia mit seiner Ausstellung die Passanten dazu auf, sich mit dem Phänomen dessen, was man im französischen „passager“ nennt, auseinanderzusetzen. Es ist das Flüchtige, Vorübergehende, Vergängliche, dem der Künstler in seiner Installation Its very Artificiality Becomes an Attraction vor Ort ein Raum gewordenes Bild widmet.
Der Titel ist ein Zitat aus einem Buch des niederländischen Architekten Rem Koolhaas: In Delirious New York aus dem Jahr 1978 skizziert er mit diesen Worten den speziellen Charme von Coney Island und dessen Vergnügungsparks, der die Stadtentwicklung in Manhattan in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts richtungsweisend beeinflusst hat. Das Künstliche setzt sich gegenüber der Natur durch. Moderne Technologien bringen einen starken Urbanisierungsschub hervor. Das Fantastische bis hin zum Grotesken wird zu einer neuen, wenn auch artifiziellen Realität, wo Häuser bis in die Wolken wachsen: ein Szenario, das neue Räume erschließt.
In seinem Werk generiert Alfredo Barsuglia ständig aktuelle Bezüge zu Lebenssituationen, so auch in Un-Pleasantville, eine Installation in der Ausstellung Diving Through Realities (Galerie Feichtner, Wien, 2010), eine Hommage an seinen Wohnungsnachbar in New York mit einer Szene aus dem Jahr 1973.
Das Bühnenhafte, die Illusion von Realität, spielt bei Alfredo Barsuglia eine bedeutende Rolle. Das Weglassen und das Fragmentarische sind dabei wichtige Gestaltungselemente. So deutet er den Grundriss einer fiktiven Wohnung, die er in der Passagegalerie nachbaut, mit einer weiß gestrichenen, geschwungenen Holzbordüre an. Wie die Glasscheiben des Ausstellungsraumes sind auch hier die Wände transparent und geben den Blick bis ins Hinterzimmer frei. Ob man will oder nicht, betritt man visuell einen privaten Lebensraum, wenn auch einer fiktiven Person. Der voyeuristische Blick ist intendiert, mit der Auflage, sich den Bewohner selbst zu imaginieren. Festmachen lässt sich allein der Charakter eines Mannes Mitte dreißig, der als Abbild über dem Kamin hängt und damit zugleich einen Allgemeinplatz, wo Kunst oftmals im privaten Umfeld positioniert wird, zitiert. Die zarte Gesichtsfarbe des Mannes hebt sich von der Möblierung, die ganz in Weiß gehalten ist, ab und erlaubt einen visuellen Konnex mit dem möglichen Bewohner.
Ein blau beleuchtetes Aquarium wird zum Beweis, dass tatsächlich Leben im Raum ist, denn die Fische und Krebse brauchen täglich Betreuung. Licht wird in weiterer Folge als Indiz eingesetzt: In einem Rhythmus von 5 bis 20 Minuten blinken die Deckenleuchten auf, es scheint, als würde jemand von Zimmer zu Zimmer gehen, der dem Betrachter dennoch verborgen bleibt, als würden sich Beobachter und Beobachteter in Paralleluniversen aufhalten. Im Nebenraum liegt ein umgefallener Stuhl, daneben ist Fischfutter ausgestreut. Etwas ist vorgefallen, ob banal oder dramatisch wird nicht weiter definiert. Alfredo Barsuglia überlässt den Handlungsspielraum dem Betrachter. Sein Setting könnte ein Tatort sein, aber eben nur theoretisch.
Es sind Spuren, flüchtige wie manifeste, die zurück bleiben. Der Passant wird zum Zeugen. Der Beweis bleibt aus.
Its very Artificiality Becomes an Attraction, 2011
Künstlerhaus Passagegalerie, Vienna / AT
Text: Theresia Hauenfels
Un poète doit laisser des traces de son passage, non des preuves. Seules les traces font rêver. (A poet must leave traces of his passage, not proofs. Traces alone engender dreams.)
– René Char, La Parole en archipel
Protected solely by a glass wall, the space of the Passagegalerie (Passage Gallery) is exposed to a variety of adverse conditions, particularly in winter: hardly anyone has the time to stop and look. It’s cold, everyone is in a hurry, to catch the next subway, to reach the next appointment on time, only a few, who have arranged to meet, wait. With friendly persistence, Alfredo Barsuglia’s exhibition challenge passersby to consider a phenomenon that is called “passager” in French. It is the fleeting, the ephemeral, and the transient, in his installation Its very Artificiality Becomes an Attraction, which the artist dedicates a pictorial tableau to.
The title is a quote from a book by the Dutch architect Rem Koolhaas. In Delirious New York from 1978, he sketches with these words the special charm of Coney Island and its amusement parks, which had such a formative influence on Manhattan’s urban development in the first half of the twentieth century. The artificial asserts itself over nature. Modern technologies spawn massive urbanization. The fantastic through to the grotesque are the new, if artificial reality, where buildings soar up into the clouds: a scenario that opens up new spaces.
In his work Barsuglia is constantly generating currently relevant references to life situations, for instance in Un-Pleasantville, an installation featured in the exhibition Diving Through Realities (Galerie Feichtner, 2010), which paid homage to his neighbor in New York by evoking a scene from 1973. The stage-like, the illusion of reality, plays an important role in Alfredo Barsuglia’s art. Omitting and the fragmentary are vital compositional elements. He outlines for instance the ground plan of a fictive apartment which he recreates in the Passagegalerie with white timber floor bordure. Like the glass panes of the exhibition space, the walls here are transparent and allow for a view extending right back into the rear. No matter if one wants to or not, one visually enters a private living space, even if it is that of a fictive person. The voyeuristic gaze is intended, the only condition attached is that one has to imagine the occupant. All that one has to go by is the characterization of a man in his mid-thirties who hangs as a portrait over the fireplace and so at the same moment quotes the commonplace as to where art is often positioned in a private setting. The delicate complexion of the man sets him apart from the furnishing, which is all in white, and allows a visual connection with the potential occupant.
A blue-lit aquarium is the proof that there is indeed life; after all, the fish and crabs have to be cared for every day. In addition, light is also used as a clue: the ceiling lights flash rhythmically at intervals of between 5 to 20 minutes, so that it seems as if someone is moving from room to room, someone who remains hidden from view however, as if the observer and the observed exist in parallel universes. A knocked-over chair ,fish food scattered next to it, lies on the floor of the adjacent room. Something has happened; whether trivial or dramatic is not clarified any further. Alfredo Barsuglia leaves the viewer with plenty of scope as to the course of events and action. His setting could be a crime scene, but merely and simply theoretically.
What remains are traces, both fleeting and manifest. The passerby becomes a witness. There is no proof.
English version below
Wien, 17. Februar 2007, 2010
Neue Galerie, Universalmuseum Joanneum, Graz / AT
Die konkrete Orts- und Zeitangabe im Titel der Installation vermittelt den Eindruck, als handle es sich um eine reale Begebenheit: ein Kunstgriff, der speziell im filmischen Krimi-Genre Anwendung findet.
In der bühnenbildähnlichen Inszenierung, die durch illusionistische Wandmalereien visuell erweitert wurde, kreiert jemand ein Parfum: Oderfla AM, ein Duft aus der artifiziellen Oderfla Mundhygiene- und Kosmetik-Produktpalette des Künstlers.
Fläschchen mit ätherischen Ölen, Pipetten, Papierstreifen und gebrauchte Einweghandschuhe veranschaulichen den Schaffensprozess. Auf einer Wandtafel lassen sich die Ingredienzen nachverfolgen, die vor Ort auch olfaktorisch ihre Spuren hinterlassen haben: Es riecht deutlich nach Pfefferminzöl.
Alfredo Barsuglia setzt mit dieser Arbeit seine umfassende Auseinandersetzung mit der Welt der Mundhygiene unter ästhetischen Gesichtspunkten fort. Nicht der Aspekt von Glamour oder Erotik, die dem Parfum als Luxusartikel inhärent ist, wird angesprochen, sondern vielmehr ein medizinisch-hygienischer Aspekt. Man wird Zeuge einer Geschichte, die sich anhand der ausgestellten Objekte lesen lässt.
Vienna, February 17th, 2007, 2010
Neue Galerie, Universalmuseum Joanneum, Graz / AT
The specific location and time given in the installation’s title conveys the impression that an event or episode that actually took place is being presented, a device particularly favored in film versions of the crime story genre. In the mise-en-scène-like reenactment, visually extended by illusionistic murals, someone creates a perfume: Oderfla AM, a fragrance from the artist’s artificial Oderfla oral hygiene and cosmetic product range.
Vials with essential oils, pipettes, strips of paper, and used disposable gloves are evidence of the creative process. Listed on a board are the ingredients that have left their olfactory mark here. There is the distinctive smell of peppermint oil.
With this work Alfredo Barsuglia continues his extensive exploration of the world of oral hygiene, considered from an aesthetic perspective. It is not the aspect of glamour or the erotic, inherent to perfume as a luxury article, that is addressed, but rather a medical-hygienic one. The viewer becomes the witness to a story that can be read through the exhibited objects.
English version below
Escap[ad]e, 2010
Galerie im Traklhaus, Salzburg / AT
Escap[ad]e erzählt eine Geschichte mit märchenhaften Komponenten. Das zentrale Element der Installation ist ein kleiner Tisch, auf dem sich neben anderen Gegenständen ein aufgeschlagenes Tagebuch und ein Anrufbeantworter befinden. Wenn der Betrachter den letzten Tagebucheintrag liest, erfährt er von der Unzufriedenheit und dem freudlosen Leben des Verfassers. Der Leser erfährt auch, dass sich der Unglückliche beim Schreiben von einem Anruf gestört fühlte, diesen nicht entgegennahm und deshalb eine Mitteilung vom Anrufbeantworter aufgezeichnet worden war. Der Ausstellungsbesucher kann die Nachricht abspielen und hört eine orakelhafte Frauenstimme, die den Unglücklichen ermutigt, hinter dem Regal nach dem Geheimnis zu suchen. Man ahnt, was geschehen ist, nachdem die Frau ihre Nachricht hinterlassen hat: Das Regal ist umgestoßen und die Tapete heruntergerissen. Dahinter öffnet sich ein Raum, der vordergründig leer ist. Es ist ein perfekter Raum für eigene Wünsche und Projektionen, ein leeres Gehäuse – so wie es sich der unglückliche Tagebuchautor erträumt hat.
Die Installation wirft Fragen der Identität auf: Ist mein soziales Leben fremdbestimmt? Wie kann ich die Welt um mich herum aufbauen? Was ist mein innerstes Ich?
Escap[ad]e, 2010
Galerie im Traklhaus, Salzburg / AT
Escap[ad]e tells a story with fairytale-like components. The main element of the installation is a small table; amongst the objects on it are an open diary and an answering machine. The last diary entry reveals how dissatisfied and unhappy the diarist is. The reader also learns that the unhappy fellow was disturbed by a call while writing, decided against answering and a message is thus on the answering machine. Playing back the message, the exhibition visitor hears the mysterious voice of a woman encouraging the unhappy man to look for the secret behind the shelf. It is easy to see what happened next: The shelf is knocked over, lying next to it is a framed picture, its glass shattered, and a broken but still functioning screen that shows two men mounting a sign for a dental practice. Part of the wallpaper is torn away, revealing a seemingly empty room. It is a perfect space for wishes and projections, an empty cubicle – just like the unhappy diarist had dreamed up.
The installation raises questions of identity: Is my social life determined by others? How can I arrange the world around me? What makes up my innermost self?
English version below
Oderfla Beauty Resort, 2008/13
Mojave-Wüste, Flamingo Heights, CA / USA
2013, Plakatwandprojekt, Arbeiterkammer Wien / AT
Text: Janina Falkner
Oderfla Beauty Resort von Alfredo Barsuglia ist eine Installation in der kalifornischen Wüste. Sie ist Teil einer futuristischen Szenerie. Die Bedeutung der Installation, des Spas, konstruiert sich aus seiner Bestimmung als archäologischer Fund. Wie von Wüstensand verschüttet, liegt sie in einem Flussbett, das sich bei Regen mit Wasser füllt, fordert gleichsam seine Vergänglichkeit und Wiederentdeckung ein. Das Beauty Resort ist daraufhin ausgerichtet, als Ruine und Phänomen der Schönheitsproduktion des 21. Jahrhunderts gesichtet zu werden. Zusätzlich wird man dann kosmetische Produkte finden. Der Künstler präsentiert sie als archäologische Hinweise, steril, seriell, zwanghaft, aber elegant aufbereitet.
Barsuglias Arbeit ist eine fiktive Ausgrabungsstätte von etwas nie Dagewesenem. In Zukunft wird man etwas rekonstruieren und archivieren wollen, das sich selbst nur als Instrumentarium von Zukünftigem, von Fiktionalem behauptet. Die Dramaturgie des Künstlers entwirft einen Produktionsraum der Schönheit. Um diese dreht sich alles. Sie ist das Objekt der Begierde, das sich hier nur in dem Begehren nach ihr selbst zu erkennen gibt. So handelt es sich im Sinne Alfredo Barsuglias bei dem Begriff „Schönheitswahn“ um einen Pleonasmus. Wahn ist hier nicht übertriebener Zwang nach Schönheit, sondern die Schönheit erweist sich ihrem Wesen nach als wahnhaft. Barsuglia verortet sie in der Narration von Vergangenheit und Zukunft, innerhalb der Fiktion, dem Kategorischen, dem Entopischen, dem Präsentativen, dem nie Gewesenen und sein Wollenden, dem Suchenden und dem Darstellenden, in all dem was jenseits dessen liegt, was man den Moment des Gegenwärtigen nennen mag. Schönheit generiert sich in Alfredo Barsuglias Installation in seiner Bildwerdung, die Sichtungsmaschinerie und Produktionsapparate umfasst. So sind Kosmetik- und Schönheitsartikel daraufhin ausgelegt etwas zu produzieren, und speziell in der hier museal inszenierten Aufbereitung auch darauf, etwas zu sein, das gesehen werden will.
Der Künstler weist hier mit seiner Präsentation auf den Plakatwänden vor der Arbeiterkammer Wien nicht nur auf das prekäre Nahverhältnis von Schönheit und dem Drang nach Bildwerdung, öffentlicher Sichtbarkeit oder kategorischem Gefallen hin, sondern auch auf die simplen aber problematischen Mechanismen von Verkaufsblasen. Die Werbefläche behauptet sich hier als Darstellung von etwas, das nur innerhalb der Darstellung besteht. Präsentationsebenen potenzieren sich in dem Projekt für die Arbeiterkammer fast selbstverständlich und gerade deshalb umso subtiler. Hier verschärft sich Barsuglias Arbeit um einen konkret konsumkritischen Aspekt. Denn die Wesensform der Werbung besteht in der Suggestion eines Begehrens nach etwas, das erst durch sie geschaffen wird. Alfredo Barsuglia dekonstruiert den Prozess der Imagination und Sehnsuchtsmaschinerie. Seine Arbeit verdichtet sich im Format der Werbewand, deren eigentliche und trügerische Wesensform uns der Künstler hier preisgibt.
Oderfla Beauty Resort, 2008
Mojave Desert, Flamingo Heights, CA / USA
2013, Billboard Project, Austrian Chamber of Labor Vienna / AT
Text: Janina Falkner
Oderfla Beauty Resort by Alfredo Barsuglia is an installation in the Californian desert. It is part of a futuristic scenery. The meaning of the installation, of the spa, is constructed out of its definition as an archaeological find. As if submerged beneath the sands of the desert, it lies in a riverbed that fills with water when it rains, at once revealing its transience and enabling its rediscovery. The Beauty Resort is set and arranged in a way that allows viewers to see it as a ruin and phenomenon of the production of beauty in the 21st century. And what is more: cosmetic products are then found. The artist presents them as archaeological evidence, sterile, serial, compulsive, but elegantly prepared and processed.
Barsuglia’s work is a fictive excavation site of something that never existed. In the future, one will want to reconstruct and archive something that asserted its presence only as an instrument of the future, of the fictional. The artist’s dramaturgy lays out a production space of beauty. Everything revolves around it. It is the object of desire that only reveals itself here in the desiring for it. Thus, in Alfredo Barsuglia’s understanding, the “beauty craze” is a pleonasm. Here it is not the compulsion for beauty that is crazy; rather, beauty itself reveals itself to be inherently crazed or delusional. Barsuglia locates it in a narration of past and future, within the fiction, the categorical, the entopic, the presentative, the never-before-existed, and the desire to want it, seek it, and present it, in all that lies beyond what one may call the present moment. Beauty generates itself in Alfredo Barsuglia’s installation in becoming visual, in becoming an image, a becoming that encompasses both the machinery of visual inspection and the apparatus of production. Cosmetic and beauty products are thus displayed to produce something, and specifically in the setting staged like a museum display, to be something that wants to be seen.
With his presentation on the billboard in front of the Austrian Chamber of Labor, the artist is not only pointedly alluding to the precarious close relationship between beauty and the compulsion towards visual manifestation as an image, towards public visibility, or towards being categorically pleasing on the eye, he is also highlighting the simple but problematic mechanisms of sales bubbles. The advertising space asserts its presence as the representation of something that only exists within the representation. Presentation levels multiply exponentially in the project for the Labor Chamber almost as a matter of course – and precisely therefore all the more subtly. Here Barsuglia’s work gains a concrete consumer-critical edge. The essential form of advertising is to suggestively evoke a desire for something that is first produced through this advertising itself. Alfredo Barsuglia deconstructs the process of imagination and the machinery of longing. His work is compressed into the format of the advertising billboard, the artist disclosing to us its genuine and deceptive essential form.